Münzen – „Leitfossilien“ soziologischer und ökonomischer Entwicklungen

 

 

Friedrich II, Stauferkaiser (1194-1250) - (c) Foto Alfred Rhomberg - einer meiner schönsten mittelalterlichen Pfennige (Durchmesser ca. 12 mm)

 

Leitfossilien sind Einschlüsse in Gesteinsschichten, anhand derer man ihr relatives Alter und andere Rückschlüsse auf die Vergangenheit ziehen kann.

Eine ähnliche Funktion haben Münzen, die mich deswegen immer besonders interessiert haben, weil man anhand von Münzen (die es schon seit dem frühen Altertum gab) Rückschlüsse auf eine ganze Reihe interessanter Fakten ziehen kann, die in den Geschichtsbüchern fehlen (oder entsprechend jeweiliger politischer Zeitepochen gefälscht oder falsch interpretiert werden).

 

Was lässt sich beim Vergleich von Münzen aus verschiedenen Epochen ablesen?

 

Fast alles, was menschliche Kultur ausmacht! Das Metall oder die Metallzusammensetzung lässt Rückschlüsse auf Technologien der Metallgewinnung zu, die Ausformung der Münzen über die technischen Verarbeitungsmethoden (Handarbeit, Münzgravur, Münzpressen etc.), das verwendete Metall über wirtschaftlichen Reichtum, die Bild- und Textinschriften über die Kunstgeschichte bzw. die politische Geschichte einer Zeit, die Münz-Fundstellen über die Wirtschaftswege im Altertum, der Nennwert und Stückelung (Pfennige/ Denare, Grosso-Münzen, Thaler usw.) über die wirtschaftliche Entfaltung einer Gesellschaft, die Veränderungen eines bestimmten Münztyps auf inflationäre, meist kriegsbedingte geschichtliche Fakten einer Zeit und vieles mehr.

 

Die Umlaufgeschwindigkeit von Münzen im römischen Reich war so groß, dass Münzen geschichtliche Fakten und Ereignisse an den Grenzen des Reichs die Hauptstadt Rom häufig schneller erreichten, als andere Kommunikationswege. Es war im römischen Reich meist Pflicht, dass eine Seite der Münze, dem jeweiligen Kaiser gewidmet, die andere Seite jedoch oft frei für das Prägerecht von Feldherren war, um z.B. eine gewonnene Schlacht durch eine entsprechende bildliche Darstellung zu verewigen. Es gibt daher gerade bei römischen Münzen oft zeitgleich ähnliche Münzen, deren Vorder- und Rückseite völlig verschieden sind. Die Vielfalt römischer Münzen im Verlauf der römischen Geschichte (Gold-, Silber- Bronzemünzen und die umfangreiche Stückelung sagen mehr über die römische Gesellschaft aus, als dies den oft trockenen Geschichtslehrbüchern zu entnehmen ist.

 

Anm.: römische Münzen sind um so teurer, je grausamer ein Kaiser war (Nero, Caligula etc.). Wegen der unterschiedlichen Doppelseitigkeit der Münzen wurden sie häufig gefälscht und unterschiedliche Vorderseiten und Rückseiten zusammen fantasiert, was den Seltenheitswert steigerte. Da diese Fälschungen hauptsächlich in der Renaissance und mit den damals noch bekannten Technologien durchgeführt wurden, ist die Erkennung von Fälschungen schwierig. Mittelalterliche Pfennige wurden wegen ihres niedrigen Preises und des Desinteresses der Renaissance am Mittelalter fast nie gefälscht.

 

Nachfolgend soll nur ein ganz winziger Abschnitt der Münzgeschichte bezüglich ihrer soziologisch interessanten Entwicklung sehr verkürzt und ohne Details wiedergegeben werden: ein Abschnitt der Münzgeschichte der mich besonders interessiert hat, nämlich die Münzen des Mittelalters und hier nur die Entwicklung vom Pfennig bis zum Thaler.

 

Vom Pfennig zum Thaler

 

Es gab zwei Gründe, die mein Interesse an diesen Münzen besonders erregten: 1. Nach dem Untergang des römischen Reiches und den Wirren der Völkerwanderung, war das, was wir heute Europa nennen, eine wirtschaftlich arme Region, in der sich innerhalb des Heiligen römischen Reiches deutscher Nation nur langsam wieder eine Blütezeit, besonders in den Städten entwickelte, die sich ganz deutlich aus der Münzgeschichte ablesen lässt. 2. Ein banaler Grund meines Interesses für mittelalterliche Münzen – insbesondere für Pfennige dieser Zeit, war, dass solche Münzen meist immer „billig“ waren (und auch heute noch billig sind, 5- 30 Euro). Der Grund dafür ist die ungeheure Vielfalt der Münzen aufgrund des Prägerechtes einzelner Städte (oder Bischöfe), die das Studium dieser Münzen schwierig macht und das Interesse von Münzsammlern klein ließ (und auch heute noch lässt). Da es insbesondere bei Kleinmünzen nur selten halbwegs gut erhaltene Stücke gibt, interessieren sich viele moderne Münzsammler dafür nicht – die sonst üblichen „Qualitätsbeschreibungen“ reduzieren sich daher meist nur auf „erhalten“, „s“ (schön) bzw. „ss“ (sehr schön), prägefrische Münzen sind sehr rar und „Stempelglanz“ ist eine Verirrung der heutigen Numismatik (Münzkunde), weil eine Münze, die nie im Umlauf war für mich keine Münze ist! Ein weiterer Grund für das breite Desinteresse ist, dass die Geschichte des Mittelalters kompliziert und deshalb auch die habhafte Literatur nur in Universitätsbibliotheken zu finden ist, wovor – obwohl solche Bibliotheken für jeden zugänglich sind – viele moderne Münzsammler offenbar zu viel „Ehrfurcht“ haben.

 

Nach dem Zusammenbruch des römischen Reiches folgten die großen, bekannten mit einzelnen Kaisern verbundenen Perioden der Karolinger, Merowinger, Salier, Ottonen, Staufer und Habsburger, wobei sich die Geschichte meist auf diese Herrscherhäuser und einzelne Patrizier beschränkt. Eine „Geldgeschichte“ zu dieser Zeit kann man in wenigen Worten beschreiben: Kaiser und Patrizier brauchten in der Frühzeit des Mittelalters kein Geld, sie nahmen sich ohne Geld, was ihnen gefiel. Die einfache Bevölkerung brauchte meist ebenfalls kein Geld, sie arbeitete ohne Bezahlung und tauschte die Produkte ihrer Arbeit wie in den grauen Vorzeiten des Altertums durch Naturalien aus. Es gibt trotzdem Kleinmünzen aus dieser Zeit (meist Denare genannt) mit hohem Silbergehalt und großer Kaufkraft. Nach dem „Karolingischen Münzfuß“ mussten durch Karl den Grossen bestimmt, aus einem Pfund Silber 240 Münzen geschlagen werden. Der Wert dieser Münzen ergab sich bis ins späte Mittelalter also aus dem Metallwert und die Münzen wurden deswegen im gesamten europäischen Bereich akzeptiert. Interessanter wurde die Geldgeschichte dann seit den frühen Stadtgründungen des Mittelalters um 1000 n. Chr., weil sich in den Städten eine arbeitsteilige Struktur von Handwerkern, Kaufleuten und Patriziern entwickelte (wobei letztere ihren Reichtum meist ebenfalls durch Handel erwarben – Fugger, Welser etc.).

 

Auch zu dieser Zeit gab es zu Beginn nur einen Münztyp – den Pfennig, der noch um 1200 n.Chr. die einzige deutsche Umlaufmünze (Courrantwährung) war. Die Vielfalt dieser Pfennige war ungeheuer, weil ähnlich wie in Norditalien, jede Stadt und jeder Kirchenfürst eigene Münzen prägte, die im gesamten Reichsgebiet wegen ihres praktisch genormten Silbergehaltes überall akzeptiert wurden.

 

Welche Kaufkraft hatten solche Pfennige?

 

Es gibt nicht viele Quellen für die Kaufkraft. Eine Quelle besagt, dass ein Handwerker am Tag 4 Pfennige verdiente, wovon er 2 Pfennige für Nahrung (plus Wein) ausgab und ein weiterer Pfennig für „Diverses“ (steht nicht in so in dieser Quelle) gespart wurde. An dieser Relation hat sich vermutlich auch etwas später nicht viel geändert („ein Heller und ein Batzen, die waren beide mein – der Heller wurd zu Wasser, der Batzen wurd zu Wein“).

 

Weitere Entwicklung

 

Ab dem 12. und 13 Jahrhundert hatte sich ein gewisser Wohlstand entwickelt, der größere Münzeinheiten und eine Stückelung erforderlich machte, wie es sie bereits im römischen Reich gab. Aus Italien kam der Begriff der Grosso-Münzen (von ital. dick, schwer). Sie bestanden aus einem Vielfachen von Pfennigwerten (je nach Landschaft mit 2, 3, 6- fachem bis zu 12-fachem Wert eines Pfennigs).

 

Anm.: Vom „Grosso“ ist auch der bis zur Einführung des Euro in Deutschland übliche Begriff Groschen für 10 Pfennige, also anders als der österreichische Groschenbegriff, abgeleitet.

 

Berühmte Grosso-Formen gab es zu dieser Zeit in Frankreich (Tournois), Schweiz (Batzen), Etschkreutzer (Tirol) oder Meißner Groschen (in Teilen Deutschlands). Daneben gab es auch Goldmünzen (Florene/ Florentiner und Dukaten). Mit wachsendem Wohlstand beherrschte seit Ende des 14. Jahrhunderts eine weitere geschichtsträchtige Münze – der Thaler (Taler) die Welt, als bis in die jüngste Vergangenheit beliebtestes Zahlungsmittel. Besonders berühmt wurde in der Neuzeit der Theresienthaler (Kaiserin Maria Theresia), der noch bis 1940 im damaligen Abessinien offizielles Zahlungsmittel war. Der Name Thaler leitet sich verkürzt von Joachimsthal in Böhmen ab, wo um 1500 große Silberfunde entdeckt wurden. Auch der heutige Dollar leitet seinen Namen vom Thaler ab. Das Gewicht des Thalers war genormt: aus einer „Mark“ Feinsilber (Mark war ursprünglich eine Gewichtseinheit) wurden 14 Thaler geprägt.

 

Ein tieferer Einblick in die Münzgeschichte des Mittelalters würde den Rahmen diese Beitrages sprengen, es soll nur noch angemerkt werden, dass sich Wirtschaftskatastrophen (ähnlich wie bei bedrucktem Geld, siehe mein Beitrag v. 26.5.2008/ Inflation – Sonderfälle abseits vom Lehrbuch) auch bei Münzen ablesen lassen (durch Schwund an Edelmetall bei ungefähr gleichem Aussehen). Nach dem 30 jährigen Krieg waren die sogenannten „Kippermünzen“ der Ausdruck dieser schrecklichen Zeit.

 

Anm.: Der Name Kippermünze stammte von der Praxis, den Silbergehalt durch Auflegen auf eine Balkenwaage zu beurteilen (Silber ist schwerer als Kupfer): wenn die Waagschale nach „oben“ kippte, war der Silbergehalt zu niedrig und er wurde immer niedriger. Es wird berichtet, dass zu dieser Zeit alle Metallgegenstände aus Kupfer oder Messing aus Gasthäusern gestohlen wurden, um daraus „Thaler“ zu prägen.

 

Auch zum Thaler ein Kaufkraftvergleich:

 

Zur Zeit Maria Theresias beschreibt eine Quelle, dass man sich für 6 Thaler ein schönes Ballkleid kaufen könne. Da gute, mittelmäßig erhaltene Maria Theresienthaler heute etwa 150 – 300 Euro kosten, kann man sich auch heute dafür (vielleicht?) ein schönes Ballkleid kaufen – die Wertbeständigkeit solcher Münzen ist also auch heute noch vorhanden.

 

Dazu ein Zitat aus Wikipedia: „Am Ende des 18. Jahrhunderts konnte man im deutschen Raum für einen Thaler 12 kg Brot, 6 kg Fleisch, 2 Flaschen Champagner, 1 kg Tabak oder 250 g Tee erwerben, ein Hemd, ein Paar Schuhe oder drei Paar Wollsocken kosteten ebenfalls einen Thaler. Nahrungsmittel und Mietkosten für zwei möblierte Zimmer beliefen sich auf etwa 100 bis 120 Thaler jährlich. Der Jahresverdienst eines Handwerksmeisters lag bei 200 bis 600 Thaler, der eines mittleren preußischen Beamten bei rund 100 Thalern“.

 

Bei modernen Münzen sollte man eine solche Wertbeständigkeit für die Zukunft nicht mehr erwarten, insbesondere der Übergang zur Kreditkarte und neuerdings vielleicht zu digitalen "Kryptowährungen" (Bitcoins) macht Münzen im traditionellen Sinn möglicherweise einmal ganz überflüssig – schade!

 

(28.05.2008, redigiert und ergänzt 13.12.2017) 

 

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