Stadtleben II – eine mittelgroße Stadt

 

Bahnhof - © Alfred Rhomberg, Gouache 1952

 

Die Stadt in der Alexander wohnte, war mittelgroß – auch die kulturellen Anstrengungen der Stadt waren mittelgroß, die Häuser, die Parkanlagen, die Verschuldung der Stadt und die Kriminalität – alles war mittelgroß, wobei sich das alles für die Zukunft vermutlich noch etwas steigern ließe. Wenn man allerdings die Anzahl der Häuser steigern wollte, würden die Parkanlagen wohl reduziert oder irgendwo in die Randgebiete, vielleicht sogar in die umliegenden Wälder verlagert werden müssen. Die Wälder waren nur ca. 30 Km entfernt – wenn die Stadt also expandieren wollte, gäbe es dafür noch genügend Platz.

 

Soziologisch ließ sich die Stadtbevölkerung in 6,45 Schichten einteilen. Da gab es die Superreichen, also jene die man überwiegend in den Seitenblicken des ORF oder bei Filmbällen antrifft. Dann gab es die Vermögenden bzw. jene Schicht, auf deren Vermögen es das Finanzamt besonders abgesehen hat, denn weder von den Superreichen noch von den untersten Schichten ist viel zu holen – die Superreichen haben ihr Geld irgendwo in der Welt zugriffssicher auf Urlaub geschickt und die untersten Schichten können nur mit Sozialzuschüssen überleben. Und dann die Mittelschicht: jener Bevölkerungsanteil, der von beiden Seiten eingezwängt, immer kleiner wird und der nicht weiß, welcher Schicht frau/man sich zukünftig anschließen würde. Ferner gab es die Intellektuellen und Künstler, den Underground, die Emigranten und zuletzt das pseudo-soziologische „abgehängte Prekariat“, also jene Unterschicht, die es zumindest in Deutschland zum „Unwort des Jahres 2006“ brachte. Die soziologische Einteilung in 6.45 Schichten beruht rechnerisch darauf, dass sich die Unterschichten teilweise überlappen.

 

Auch Alexanders soziale Schicht ließ sich nicht gradzahlig einordnen. Er führte kein geordnetes Leben, daher gehörte er einmal der einen oder einer anderen Schicht an (oberste und unterste Schichten ausgenommen). Der Schichtwechsel machte ihm immer wieder Schwierigkeiten. Er hatte zuletzt als Finanzberater gearbeitet und fühlte sich damals „vermögend“, derzeit war er arbeitslos und fühlte sich intellektuell. Seine Freundin hatte sich von ihm getrennt, seine derzeitige Nach-Ex war Journalistin – also intellektuell.

 

Was tut einE Intellektuelle/r den ganzen Tag?

 

Sie/er analysiert, hinterfragt und kritisiert. Das sind Tätigkeiten die nichts kosten und die frau/man sich auch als Arbeitslose/r leisten kann. Zunächst kritisierte Alexander seine Ex-Freundin, weil sie sich unmittelbar nach dem Verlust seines Finanzberater-Jobs von ihm getrennt hatte – diese Kritik war nicht sehr konstruktiv. Da war die Kritik an der Regierungskoalition schon sinnvoller, wenn auch nicht wirklich konstruktiver, weil niemand auf seine Kritik Wert legte – Intellektuelle werden bekanntlich häufig nicht ernst genommen. Im Nationalsozialismus und im Kommunismus war das anders, da wurden Intellektuelle noch sehr ernst genommen, wenn auch zum Schaden der Intellektuellen – sie wurden ganz einfach entsorgt.

 

Was ist überhaupt einE Intellektuelle/r?

 

„Ein Intellektueller ist ein Mensch, dessen Geist sich selbst beobachtet.“ – ALBERT CAMUS

 

Das tat Alexander ausgiebig (bis zur Wehleidigkeit) – aber da ihm im Augenblick gerade nichts wirklich Beobachtenswertes an ihm auffiel, schrieb er aus intellektueller Verlegenheit schnell ein e-mail an seine Nach-Ex Freundin:

 

lb. kati,
habe die absicht, heute die vernissage zu besuchen – du weißt schon – bei der ein künstler nackt in einem raum herumrennt und seinen kopf an metallwänden blutig schlägt – ich will das hinterfragen – kommst du mit? alex

Antwort:

ok – künstlerisch interessant, wirklich hinterfragenswert – werde da sein. kati.

 

 

(Version 19.7.2014)

 

  

 

 

 

 

 

 

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