Was nicht in den Noten steht IV - Die Manie der Uminstrumentierung

 


Maultrommeln - © Wikipedia, Public Domain, CC BY-SA 3.0, Eisenacher

 

 

Es ist kein Novum der Musikgeschichte, Kompositionen in anderer musikalischer Besetzung aufzuführen als es ursprünglich gedacht war (Umintstrumentierung, Transkriptionen). Leider ist diese Praxis heute zur Manie geworden, die nicht immer angebracht, in vielen Fällen sogar geschmacklos ist.

 

Was oft “nur” als Geschmackssache bezeichnet wird, sollte gerade in der Musik hinterfragt werden, weil es hier durchaus Kriterien gäbe, welche die Subjektivität des Geschmacks (die es natürlich gibt) deutlich eingrenzen. Dass die Uminstrumentierung immer mehr zur Untugend wird, liegt daran, dass Musiker heute oft krampfhaft nach Marktlücken suchen. Wir hören heute zwar sehr viel Musik, können jedoch das überquellende Marktangebot immer weniger differenziert analysieren.

 

Bei Werken der Renaissance oder des Mittelalters ist die Frage der Uminstrumentierung gegenstandslos, weil Kompositionen dieser Zeit selten für ganz bestimmte Instrumente geschrieben wurden. Das lag einerseits an der Vielfalt der Instrumente, die es bekanntlich heute nicht mehr gibt, andererseits am Fehlen fester Ensembles, sodass Musik oft in einer Zusammensetzung von KünstlerInnen aufgeführt wurde, die gerade verfügbar waren. Viele Musiker beherrschten mehrere Instrumente und zwar keineswegs so schlecht, wie das beim Wiederaufleben der „Alten Musik“ vor etwa 50 Jahren zunächst angenommen wurde. Wer die Rosenkranzsonaten von Ignaz Biber oder Kompositionen von Jean-Ferry Rebel kennt, weiß, dass diese Werke eine perfekte Violintechnik verlangen und dass es viele Virtuosen zu dieser Zeit gab, die diesen hohen Stand der Spieltechnik besaßen. Es sei in diesem Zusammenhang  an die Anfänge der Wiederbelebung alter Musik erinnert, als die schlechte Spielweise mit klappenlosen Traversflöten oder der oft wenig erbauliche Klang von Barockviolinen damit erklärt wurde, dass dies eben so üblich und anders nicht möglich war – und, dass zudem das Musikgehör früher nicht demjenigen unserer Hörgewohnheiten entsprach. Wer heute die internationalen Festivals der „Alten Musik“ (u.a. in Innsbruck) besucht weiß, dass es heute viele MusikerInnen gibt, welche die alten Spieltechniken inzwischen grandios beherrschen(1).

 

Die Uminstrumentierung war und ist für Werke des Barocks selbstverständlich, wobei Unsicherheiten erst bei manchen Werken von Johann Sebastian Bach beginnen. Bach hat seine Kompositionen hinsichtlich der Instrumentierung meist sehr genau festgelegt, wobei Bach häufig sogar Verzierungen (die zu dieser Zeit von den Instrumentalisten beherrscht und daher meist nicht notiert waren), sehr genau in Noten ausschrieb. Da Bach seine Cembalowerke häufig auch auf der Orgel spielte, sollte es also keine Einwände geben, wenn Bach’sche Inventionen und Fugen heute auf einem modernen Konzertflügel gespielt werden. Dass heute in den Brandenburgischen Konzerten die Querflöten durch Blockflöten ersetzt werden, hat gleichfalls seine Richtigkeit, weil diese Konzerte für Blockflöten geschrieben wurden und es in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts kaum Blockflötenvirtuosen gab um diese Konzerte werkgetreu aufzuführen. Bei einem der letzten Werke Bachs, der „Kunst der Fuge“ sind die Verhältnisse nicht genau geklärt und wir sind weitgehend darauf angewiesen, was Philipp Emanuel Bach über dieses Werk nach dem Tode seines Vaters schrieb. Danach gilt es als wahrscheinlich, dass es sich um Cembalowerke handelte, es gab jedoch auch andere Interpretationen.

 

Anders sollte die heute häufige Aufführungspraxis von Bach’s Cellosuiten mit der Gitarre betrachtet werden. Die 5. Cellosuite (BWV 1011, c-moll), existiert von Bach auch als Lautensonate (BWV 995, g-moll) notiert. Der Aufführung mit einer Gitarre scheint hier daher gerechtfertigt zu sein, trotzdem geben Gitarrefassungen nicht das wieder, was eine Laute (wegen ihres wesentlich größeren Umfangs im tiefen Tonbereich) vermag, es sind zu viele Veränderungen beim Spiel mit der Gitarre erforderlich. Dass diese Suite trotzdem als Prüfungsstück für Gitarristen an Musikhochschulen (u.a. Mozarteum) verlangt wird, ist trotzdem sinnvoll, weil sich jeder Musiker (unabhängig von seinem erlernten Instrument) mit der Musik Bachs auseinandersetzen muss – inwieweit Konzertaufführungen dann bei der ungeheuren Vielfalt älterer und moderner Gitarrenmusik wirklich notwendig sind, sei dahin gestellt (mich haben auch die Gitarreinterpretationen von Bachs Cellosuiten des berühmten Gitarristen John Williams nie wirklich überzeugt).

 

Fragwürdiger sind Uminstrumentierungen von Kompositionen der Klassik und Romantik, die inzwischen gang und gäbe sind. Fragwürdig sind diese Versuche deswegen, weil diese Musik für ein Instrumentarium geschrieben wurde, das bereits sehr eingeengt war und bei dem sich die Komponisten sehr deutlich für ein bestimmtes Instrument entschieden hatten. Die Einengung in dieser Musikepoche ging bekanntlich so weit, dass der Beweis der Virtuosität von Solisten nur in dafür vorgesehenen Kadenzstellen üblich war, wobei diese Praxis später sogar noch weiter eingeengt wurde, als nur noch ganz bestimmte, inzwischen notierte Kadenzen bei Konzerten von Mozart, Beethoven, Tschaikowsky usw. „erlaubt“ waren. Heute hört man wieder neue, freie Kadenzen – nicht immer zum Vorteil der Komposition – die Komposition fällt damit wieder in das „Virtuosenzeitalter“ des 19. Jahrhunderts zurück.

 

Ja – es stimmt, dass sich unsere Hörgewohnheiten verändert haben und durch die Breite des Angebotes an CD’s weiter verändern werden - der Purismus sollte daher nicht übertrieben werden.

 

Viele junge Ensembles wählen heute den Weg der Neuinstrumentierung. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass der Musikmarkt eine derart große Auswahl unterschiedlicher Interpretationen bietet, dass es für junge Ensembles immer schwieriger wird, sich zu vermarkten oder zu profilieren. Ein wesentlicher Nachteil des modernen Musiklebens ist aber, dass es zwar hervorragend ausgebildete junge Musiker gibt, jedoch kaum noch wirklich stilbildende Streichquartette oder Solisten (z.B. Violinisten oder Pianisten) heranreifen können, wie es sie in so mannigfaltiger Fülle im 20. Jahrhundert bis etwa 1970 gab. Die besten SolistInnen und Ensembles unserer Zeit werden inzwischen mit nur wenigen Einspielungen vermarktet – eine längere Entwicklung zu stilbildenden MusikerInnen wird ihnen nicht mehr zugestanden.

 

Das 1998 gegründete Gingko Trio dreier junger Musiker zitiert J. S. Bach zwar zu Recht mit den Worten, dass Komposition „festgehaltene Improvisation“ sei - aber die Klassik bis zur Romantik lebt nun einmal nicht von der Improvisation wie die alte Musik oder der Jazz. Die Zielpunkte des GingkoTrios sind klassische Komponisten, u.a. Melodien von Henry Purcell oder Arien aus der Matthäuspassion (die keine Uminterpretierung erlauben) zu einem „lebendigen musikalischen Gebrauchsgegenstand“ zu machen.

 

Gebrauchsgegenstände haben die fatale Eigenschaft, nach Gebrauch weggeworfen zu werden!

 

FACIT: Wenn sogar der beste Sender des deutschsprachigen Raumes (Ö1) zunehmend uminstrumentierte Versionen großer Komponisten wie Bach oder Mozart in Maultrommel – oder Saxophonfassungen vorstellt, ist dies bedenklich. Die Jugend geht m.E. immer weniger in Konzertsäle und kennt Musik daher oft nur aus den heutigen Medien. Durch das ständige Hören von Musikexperimenten mit klassischer Musik geht jedes Gefühl für Musikinterpretation verloren.

 

(25.2.2014) 

 

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(1) Die Festwochen der “Alten Musik” gibt es unter anderem Namen in Schloss Ambras bei Innsbruck seit 48 Jahren und haben wesentlich dazu beigetragen, diese überaus reizvolle Musikepoche wiederzubeleben.

 

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