Der Linksradikalismus im Nachkriegsdeutschland – der Fall Benno Ohnesorg

 

Ds Grab von Benno Ohnesorg und seiner Frau in Hannover - (c) Wikipedia, Public Domain

 

 

Am 2. Juni 1967 wurde der deutsche 26 jährige Student Benno Ohnesorg von einem Kriminalobermeister anlässlich einer Studentendemonstration in Berlin getötet. Ich war zu dieser Zeit bereits das zweite Jahr in der BRD und geriet in ein Spannungsfeld, das ich aus Österreich kommend nicht kannte. Vielleicht war ich aus diesem Grund für Vorgänge besonders sensibilisiert, deren Tragweite viele meiner deutschen Kollegen damals noch nicht wahrnahmen, wie ich aus Diskussionen entnehmen konnte.

 

Als ich 1966, zunächst in der unmittelbaren Umgebung der damaligen Hauptstadt Bonn, als Chemiker in einem Grundlagenforschungsinstitut arbeitete, hatte ich naturgemäß mit der Universität Bonn zu tun, da unser Forschungsleiter der Royal Dutch Shell Company in Schloss Birlinghoven, gleichzeitig Professor der Bonner Uni war. Während sich die Studenten in Österreich zu dieser Zeit in erster Linie mit ihrem gewählten Studienfach und in zweiter Linie damit beschäftigten, ihre Freizeit relativ angenehm zu verbringen und für Politik kaum Interesse hatten, sah es am „Campus“ der Bonner Uni damals ganz anders aus. Die Studenten lagerten auf den Wiesen in einem Outfit, das ich von Innsbruck her nicht kannte (und das es auch an allen anderen österreichischen Universitäten damals nicht gab). Rauschgift war zu dieser Zeit – wenn auch nur in der relativ harmlosen Form von Haschisch – bereits ein offen thematisiertes Problem. Das Zweite was mir auffiel, war die bei der Bevölkerung, besonders jedoch bei Studenten ausgeprägte Amerikafeindlichkeit, die für mich unerklärlich war, weil die USA anlässlich der Berlinblockade 1948 sich uneingeschränkter Beliebtheit bei der deutschen Bevölkerung erfreute. Auch 1963, als der US-Präsident J.F. Kennedy wenige Monate vor seinem gewaltsamen Tod, bei seinem Besuch in Berlin noch den berühmten Satz sagte: „I am a Berliner“, war Deutschland noch von den USA begeistert.

 

Was war in den Jahren zwischen 1963 und 1968 geschehen?

 

Es gibt unendlich viele Literaturquellen zu diesem Thema – ich selbst habe die Vorgänge bis heute nie ganz verstanden. Doch zurück zum Jahr 1967 und dem Tod Benno Ohnesorgs.

 

Seit Mai 2009, einige Tage nachdem bekannt wurde, dass der Kriminaloberst der Benno Ohnesorg erschossen hatte, ein DDR Spitzel war, was zu der noch unbewiesenen These eines Auftragsmordes führte, glauben viele, dass ohne diesen Zwischenfall die Radikalisierung(1) der Studentenschaft nicht stattgefunden hätte. Diejenigen die das heute annehmen, unterliegen einem Irrtum. Es mag sein, dass Vieles was bereits im Gären war, dadurch beschleunigt wurde, im Wesen war die antiamerikanische Gesinnung vieler Deutscher bereits etabliert und auch die Revolte der Studenten gegen das “Etablishment” kaum aufzuhalten, obwohl das weitere Wohlergehen der deutschen Gesellschaft letztlich der USA als Schutzmacht zu verdanken war.

 

1968 war ich bereits im Pharmaunternehmen Boehringer Mannheim tätig und des öfteren Augenzeuge sehr gewalttätiger Demonstrationen der Studentenschaft im nahegelegenen Heidelberg. Alles begann in Heidelberg mit dem sogenannten „Heidelberger Patienten-Kollektiv“ (Sozialistisches Patientenkollektiv(2) aus deren Sympathisanten sich später die “autonomen Zellen” entwickelten. Dahinter steckte die Solidarisierung der Studenten mit einigen Professoren der Heidelberger Psychiatrie, in deren Umfeld die Meinung vertreten wurde, dass die psychiatrisch dort behandelten Patienten grundsätzlich nur Opfer der Wirtschaftwundergesellschaft seien. Der Weg zur Veredelung des „Idealbildes“ des Marxismus war nicht mehr weit. Als dann 1968 die Studentenrevolten, von Frankreich ausgehend, besonders in Deutschland erschreckende Formen annahmen, hatte ich zum ersten Mal die Idee, in die USA auszuwandern, wie mir dies von aus Ungarn geflüchteten, in den USA lebenden Professoren dringend empfohlen wurde – es ist nie dazu gekommen.

 

Wie nahm man die Heidelberger-Geschehnisse in meiner nur 24 Kilometer entfernten Firma in Mannheim wahr? Meine nichtakademischen Mitarbeiter, die an sich traditionell wegen ihrer Herkunft aus dem sozialistischen Umfeld einer Arbeiterstadt kamen, waren über die linken Ausschreitungen entsetzt. Die einhellige Meinung meiner LaborantInnen war, dass sie für die Krawalle der Studenten in Heidelberg (und dem nahegelegenen Frankfurt) keinerlei Verständnis hätten. Die StudentInnen würden letztlich durch ihre Steuern bezahlt und sollten daher auch studieren, anstatt Professoren zu verprügeln und die Hörsäle in Politforen umzufunktionieren. Meine MitarbeiterInnen stammten aus jenem linken Milieu, das noch durch sozialistische Werte geprägt war, Werte die ich stets respektierte – auch wenn ich mich aufgrund meiner eigenen Vergangenheit (und derjenigen meiner Frau, die 1956 aus Ungarn flüchten musste) nie mit linken Ideen anfreunden konnte.

 

Als Führungskraft der deutschen Industrie wurde frau/man zu dieser Zeit durch Broschüren verschiedener Gremien (Wirtschaft und Bundesregierung) ausgiebig informiert und zudem gab es noch ein Blatt „Vertrauliche Mitteilungen aus Politik und Wirtschaft“ eines ehemaligen Bundestagsabgeordneten, das in ganz erstaunlicher Weise über Dinge informierte, die in keinen deutschen Zeitungen erwähnt wurden und die sich rückwirkend gesehen, fast immer bestätigt hatten. Darüber hinaus wurden Führungskräfte auch dialektisch geschult, um mit ihren MitarbeiterInnen, insbesondere mit Azubis (Lehrlinge) über die dramatischen Ereignisse diskutieren zu können, eine Schulung, die ich eigentlich nicht brauchte, weil in meinen Abteilungen ein stets offener Dialog geführt wurde.

 

Persönlich kam ich mit den Ausschreitungen in Heidelberg insofern in Berührung, weil ich 15 Jahre lang Querflötenunterricht (jeden Samstag) bei einem Professor der Heidelberger Musikhochschule nahm. Aber auch in Mannheim kam es vor, dass die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu meiner Firma, des öfteren durch gewalttätige Demonstrationen und Auseinandersetzungen mit schwer bewaffneter Polizei, die teilweise auch durch Panzer unterstützt wurde, unterbrochen wurde. Im Laufe der Zeit schwappte die linke, wenn auch nicht radikale Gesinnung auf viele jüngere Akademiker in der Firma über, wobei ich mich mit diesen KollegInnen wesentlich schwieriger tat, als mit meinen nichtakademischen MitarbeiterInnen. Der Konsens mit linkem Gedankengut der akademischen Kollegenschaft ging jedoch nie so weit, dass sie Verständnis für die Radikalisierung der Studentenschaft oder gar den Terrorzellen der RAF hatten. Ich war allerdings betroffen, dass selbst gute Freunde ihre Anti-Amerika-Haltung und ihre Sympathien für viele linke Modeerscheinungen immer häufiger ausdrückten, Freunde, die ihren Irrtum heute längst erkannt haben.

 

In der Folge spielte ich häufig mit dem Gedanken, die Bundesrepublik zu verlassen, allerdings war eine interessante Arbeit in meiner Firma und die zunehmende Unmöglichkeit im Alter um 45 einen beruflichen Wechsel in ein anderes Land (USA) zu wagen, ein Grund solche Gedanken zu verdrängen. Die Wiederaufrollung des Todes von Benno Ohnesorg ist zusätzlicher Zündstoff in der ohnehin politisch schwierigen Atmosphäre in Deutschland. Die Frage, ob die Enthüllungen durch die neuen Fakten im Fall „Ohnesorg“ bezüglich der deutschen Auseinandersetzung mit dem Linksradikalismus (RAF) vielleicht eine andere Wendung genommen hätte, sofern sie damals bekannt gewesen wären, ist nach meiner Meinung unnotwendig – was geschehen ist, ist geschehen. Einzig die Analyse der Veränderungen im Bewusstsein der deutschen Bevölkerung der Zeit zwischen 1963-1967 (also vor der Studentenrevolution) und der in jüngster Zeit in vielen Ländern – auch in Österreich – beobachteten zunehmenden Rechtsradikalisierung wären einer genaueren Analyse abseits von den derzeit vorherrschenden Klischees wert, weil sich Rechtsradikale kaum von linken Radikalen unterscheiden – beide richten sich letztlich gegen die Werte (oder Schwächen) unserer Gesellschaft. Unabhängig von der wirtschaftlichen Krise, welche vorhandene Strömungen allenfalls beschleunigt, jedoch nicht verursacht, werden wir unruhigeren Zeiten entgegen sehen.


(1)  In Österreich war die Radikalisierung der Studentenschaft wesentlich geringer ausgeprägt und es kam fast nur an der Universität Wien zu Zwischenfällen bzw. Störungen des Unterrichtes. Auch der Antiamerikanismus der österreichischen Bevölkerung war nicht in dem Maße spürbar wie in Deutschland. Es gab weniger Berührungspunkte zu den USA, obwohl auch Österreich trotz seiner Neutralität um seine Existenz ohne den indirekten Schutz durch die USA hätte fürchten müssen – die Vorgänge in Ungarn 1956 hatten dies deutlich gemacht.

 

(2)  Sozialistische Patientenkollektiv (SPK, seit 1973 auch als Patientenfront bekannt) wurde am 12. Februar 1970 in Heidelberg von 52 Psychiatrie-Patienten unter Leitung von Wolfgang Huber, bis dahin Assistenzarzt an der Poliklinik der Universität Heidelberg, gegründet. Es verstand sich als Therapiegemeinschaft und wollte im Sinne der Antipsychiatrie „aus der Krankheit eine Waffe“ machen, die eine klassenlose Gesellschaft zum Ziel hatte. (Zitat aus Wikipedia, Zugriff 15. März 2010)

 

 

(15.06.2010)

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