Gedanken über Farben und Farbdiagnostik

 

Werbung mit Farben - Buntstifte ©Alfred Rhomberg

 

 

Ein Chemiker (Nebenfächer Philosophie/Psychologie) und Hobbykünstler, der sich jahrzehntelang mit Farben beschäftigt hat, sollte sich trauen, auch anerkannte Prinzipien der Farbpsychologie bzw. Farbdiagnostik u.a. von Prof. Dr. Max Lüscher (wegen ihrer Absolutheit) teilweise in Frage zu stellen, ohne sich gleich dem Vorwurf der Anmaßung auszusetzen.

 

In der Industrie wurde ich zum ersten Mal mit der 1969 noch sehr einfachen Lüscher-Farbskala konfrontiert, weil leitende Angestellte der Firma die Frage klären sollten, welche Farben sich für das Repräsentationsbild einer Pharmafirma und deren Produkte am besten eigneten. Während Chemiker und Mediziner die Farbe „blau“ (steht für beruhigend, besonnen, nachdenklich…) bevorzugten, wollten unsere Marketingmanager unbedingt die als aggressiv geltende Farbe "rot" verwendet wissen. Wider Erwarten konnte wir uns gegenüber unseren Marketingkollegen durchsetzen und die Firma hat ihre Entscheidung für „blau“ wohl nie bereut (obwohl der Gegenbeweis natürlich fehlte). Für mich war die Entscheidung damals deswegen problematisch, weil das Prinzip, durch eine Reihung acht verschiedener Farben, Rückschlüsse auf Persönlichkeitsstrukturen zu ziehen, zu einfach erschien. Jeder der sich mit Kunst oder Mode beschäftigt, weiß, dass nicht die Farbe an sich, sondern deren Zusammensetzung und die Nachbarschaft zu anderen Farben ausschlaggebend dafür sind, ob etwas gefällt oder nicht.

 

Heute gilt die Farbdiagnostik von Prof. Lüscher nach ausgedehnten Forschungen und Experimenten, als eine anerkannte Methode, mit der man das Unbewusste „genau messen und definieren“ kann. Nach Lüscher sind Farben „objektiv“ und lösen auf der ganzen Welt vergleichbare Empfindungen aus. Obwohl seine Grundaussage, dass Worte nicht genügen, um Empfindungen zu beschreiben sicher richtig ist, sehe ich in der Absolutheit vieler seiner Aussagen nach wie vor zu starke Vereinfachungen und auch Widersprüche u.a. zur Lerntheorie. So können – je nach Kulturkreis – bestimmte Farben ganz unterschiedliche Wirkungen auslösen. Die Farben schwarz und weiß (im Sinne der Farbtheorie zwar keine Farben, (Lüscher verwendet jedoch zumindest „schwarz“ in seiner Farbskala) haben allein im asiatischen Raum völlig unterschiedliche Bedeutung. Während in Japan „schwarz“ (wie bei uns) die Farbe der Trauer und des Todes ausdrückt, wird in China die Farbe weiß als Trauerfarbe aufgefasst. Ich bin sicher, dass Kinder, die man so erzieht, dass mit einer bestimmten Farbe ein ganz bestimmter abstrakter Begriff verknüpft wird, andere Farbassoziationen haben als es Prof. Lüscher durch die Annahme einer „weltweit geltenden Objektivität von Farbassoziationen“ beschreibt. Es ist anzunehmen, dass ein überzeugter Marxist der ehemaligen UDSSR die Farbe „rot“ positiver empfunden hatte, als jemand, der durch dieses Regime psychisch oder physisch geschädigt wurde. Die „Objektivität“ von Farbassoziationen kann also durch Lernprozesse vermutlich außer Kraft gesetzt werden.

 

Die Komplexizität von Farben im Zusammenhang mit anderen Begriffen wurde mir bereits während meiner Studienzeit durch das Fach der experimentellen Psychologie bewusst. Es ging damals um semantische Unterschiede (Semantik ist die Bedeutungslehre von Worten) zwischen dem deutschen Wort „einsam“ im Gegensatz zum englischen Wort „lonesome“. Solche für Übersetzer wichtige Entscheidungen können recht gut durch „Polaritätsanalysen“ gelöst werden. Die Frage: ist „einsam“ eher positiv oder negativ, eher rot oder blau, männlich oder weiblich, stark oder schwach etc. wird im amerikanischen Englisch für das Wort „lonesome“ völlig unterschiedlich eingestuft. Das deutsche Wort „einsam“ wird häufig mit den Attributen männlich, positiv, stark und überraschenderweise gelegentlich „rot“ eingestuft, während im amerikanischen Englisch, „lonesome“ fast ausschließlich weiblich, negativ, schwach und blau ist. Warum? Im Gegensatz zu Amerika gibt es im Deutschen u.a. auch den Begriff der „heroischen“ Einsamkeit (des einsamen Denkers, Wissenschaftlers, Genies…). In Amerika gibt es (außer in einigen Wildwestfilmen) keine heroische Einsamkeit, deshalb ist lonesomeness immer nur negativ besetzt (Traurigkeit, Melancholie , weibliches Alleingelassensein etc.) Bei der Farbbewertung wird daher grundsätzlich die Farbe „blau“, die in Amerika nicht mit den positiven Attributen der Gelassenheit und Besonnenheit, sondern mit traurig oder melancholisch assoziiert ist, gewählt (blue mood = melancholische Stimmung, traurig). Auch im Deutschen würden heute vermutlich die negativen Aspekte von „einsam“ wesentlich negativer, d.h. “blauer” (im amerikanischen Sinn) beurteilt werden als vor 40 Jahren – ein weiterer Beweis, dass es eine objektive, weltweite (oder sogar zeitlose) Zuordnung von Farben nicht gibt.

 

Bei meinen Bildern benütze ich meist Farben, die meinem augenblicklichen Stimmungszustand entsprechend, allerdings oft nicht mit den dafür vorgesehenen Lüscher-Farben übereinstimmen. Will ich bestimmte Ziele erreichen, so versuche ich dies durch gezielte Farbkombinationen, die ebenfalls nur selten der Lüscher-Farbpsychologie entsprechen.

 

Möglicherweise würde sich Professor Lüscher bei der Untersuchung meiner Persönlichkeitsstruktur mittels Farbdiagnostik die Zähne ausbeißen – vielleicht unterschätze ich ihn jedoch. 

 

 

(11.02.2008, redigiert Oktober 2017)

 

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