Die Sicht eines Anti-Technokraten – oder Angst vor den „et cetera's“ 

 

High-Tec, grafisch verarbeitete Rückseite eines "Host-Servers" - © Alfred Rhomberg

 

Diesem Beitrag soll ein Zitat von Peter Altenberg (1859-1919, österreichischer Schriftsteller) vorangestellt werden:

 

„Die Mode ist ein ästhetisches Verbrechen. Sie will nicht das Endgültig-Gute, das Endgültig-Schöne. Sie will immer nur etwas Neues“(1)

 

So hübsch dieses Zitat formuliert ist – es stimmt nur die letzte Aussage, nämlich: „Sie will immer nur etwas Neues“, denn das Endgültig-Gute bzw. Schöne gibt es nicht, und der Begriff „ästhetisch“ ist so subjektiv, dass er stets nur aus unserer eigenen Sicht gilt. Heute leben wir (aus „meiner“ eigenen Sicht) in einer Zeit die im Vergleich zur Zeit des Jugendstils, in puncto Kleidung zu den „hässlicheren“ Zeitepochen gehört.

 

Ganz anders ist dies mit technischen Produkten. Zwar bieten auch diese nie das Endgültig-Gute - sonst müssten sie ja nicht ständig durch noch bessere(?) ausgetauscht werden. Für mich ist im „High-Tec“ Unterhaltungs- und Kommunikationsbereich mein Anspruch längst gedeckt obwohl ich mich beruflich stets mit dem beschäftigt hatte, was jeweils im „High-Tech“- Bereich angeboten wurde. Das ist in der modernen Pharmaforschung nicht nur selbstverständlich, sondern auch erforderlich, trotzdem fühlte ich mich aus tiefstinnerer Überzeugung niemals als Technokrat. Typisch dafür war meine (bis heute bewahrte) Harmlosigkeit, als mich in ein Physikochemiker einmal fragte: „Sie sind doch so bewandert in Musik, können Sie mir eine wirklich gute Aufnahme der h-moll Messe von Bach empfehlen?“ Selbstverständlich konnte ich das und antwortete: „Also - musikalisch ist derzeit die beste Aufnahme…“ – wobei mich der Kollege sofort unterbrach: „ich meine nicht musikalisch – davon verstehe ich nichts – aber stereomäßig etc.“ Dieses „etc.“ verfolgt mich bis heute.

 

Ich besitze eine große Sammlung von Musikaufnahmen, die ich mühsam von Schallplatten auf Magnetophonbänder, Cassetten und zuletzt auf CD’s übertragen habe – dass dadurch die Tonqualität gelitten hat stört mich nicht, wohl aber die oft miserablen modernen Aufnahmen des letzten High-Tec Standards. Das liegt nicht daran, dass die Digitalisierung den Musikgenuss – wie viele meinen, stört – ein guter Tonmeister schafft auch den Balanceakt zwischen zumutbarer Tonqualität und dem Speichervolumen einer CD ohne Schwierigkeiten. Es liegt auch keineswegs daran, dass die Orchester oder Solisten heute schlechter wären als früher - im Gegenteil, sie sind erheblich besser – oft liegt es nur an der „Seele“ mit der Werke heute oft aufgeführt werden. Da helfen keine 5-Dolby Surround Aufnahmen und die entsprechenden „et cetera’s“.

 

Was für die Musik gilt, hat ein gleichartiges Pendant in der Fotografie oder beim Film. Schwarzweißfilme wie “Casablanca” (1942, Michael Curtiz), die unvergleichlichen Filme mit Gérard Philipe oder Sense and Sensibility (1995, Ang Lee/Emma Thompson) müssen heute lange suchen, qualitativ Entsprechendes auf Bienalen „etc.“ zu finden. Es gibt zwar auch heute noch gute Filme, sie sind im Vergleich zu den genannten Filmen bestimmt „ganz gut“ und verdienen deshalb ihre Oscars – ob sie auch in 20 Jahren noch als gut empfunden werden, müsste abgewartet werden.

 

Super HD Fernseh-Bildschirme sind wirklich „super“ (scharf) – aber muss das, was in den vielen hundert Fernsehkanälen geboten wird, alles wirklich so „HD“ sein? Bei den meisten Tatort-Krimis, Reality-Shows wie z.B. „Das Dschungelcamp“ („ich bin ein Star…“) oder Volksmusiksendungen sicher nicht. Digitalcameras überbieten sich mit Megapixels – wobei Fachleute inzwischen konstatieren, dass Cameras mit Pixelzahlen oberhalb „12 Mega“ oft wieder schlechter sind, als ihre Vorgänger-Modelle. Und(!): müssen die mit solchen Cameras geschossenen Familien- oder Reisebilder wirklich so technisch perfekt sein? Das typische Familienfoto hat Erinnerungswert für diejenigen, die an einem Familienerlebnis beteiligt waren – und so empfinden die abgelichteten Familienmitglieder das auch noch nach Jahrzehnten.

 

In der Erinnerung zählen keine Kilo- oder Megahertz und keine Megapixel. Der Autor (als innerlicher Anti-Technokrat) hat ca. 8000 alte Dias und ca. 3000 Fotos in „mittlerer“ Qualität eingescannt, weil ihm der Speicherplatzbedarf bei einer sehr hochauflösenden Qualität zu groß war. Manche Bilder haben zugegebenermaßen nicht die Qualität eines „ordentlichen“ Dias – der Erinnerungswert hat darunter nicht gelitten. Es ist gut, dass es heute auch beliebig teure Equipments für Profis gibt, aber die Mehrheit der Menschheit braucht diese Super-Mega-etc.-Qualitäten nicht – und trotzdem wird versucht, gerade dieser Mehrheit „Super….etc.-Qualitäten“ zu verkaufen, wobei solche Versuche deswegen auf so fruchtbaren Boden fallen, weil die angesprochene Mehrheit modebedingt aus TechnokratInnen besteht. Und wer die ständig wechselnden „neuesten“ Modelle der gängigsten Smartphone-Hersteller kauft, sollte vorher unabhängige Testberichte gelesen haben, die nicht immer bezeugen, dass Nachfolgemodelle besser als die Vorgängermodelle sind, obwohl sie über viele neue „et cetera’s“ verfügen.

 

Jede Zeit war modeanfällig – nur scheint es, dass Moden heute besonders kurzlebig sind – vielleicht weil Mode heute, subjektiv gesehen, vielfach „schlecht” ist(?). Bei Damenmoden (und mit Verlaub auch bei der Herrenmode) scheint es manchmal so, als wäre Mode eine erzwungene Anstaltskleidung für StraftäterInnen. Hier würden mich ein paar gelungene „et cetera’s“ nicht stören, selbst wenn niemals das „Endgültig-Schöne“ angestrebt werden kann.

 

(6.8.2015)

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(1) entnommen gutezitate.com

 

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