Mein Wiederherstellungspunkt

 
Wiederherstellungspunkt-x - © Alfred Rhomberg unter Verwendung eines Smiley von www.smilies.4-user.de

 

Wer lange genug mit dem PC und Windowssystemen gearbeitet hat weiß, dass es manchmal nach einem ergebnislosen Virenscan recht praktisch ist, den Computer wieder mittels eines "Systemwiederherstellungsprogrammes" auf ein bestimmtes Datum zurückzustellen, um entstandene Defekte rückgängig zu machen. Jedes Mal denke ich mir dabei, ob es nicht auch schön wäre, bestimmte Punkte im menschlichen Leben wieder herstellen zu können d.h. einen „Wiederherstellungspunkt“ für eine Zeit zu bestimmen, in welcher alles noch „in Ordnung“ war - obwohl es ja kaum eine Zeit gibt oder gegeben hatte in der alles „in Ordnung“ ist oder war. Natürlich sind das unsinnige Gedanken – aber während des langen Wartens bis der Computer wieder „hergestellt“ ist, sind auch unsinnige Gedanken erlaubt, wie ja generell unsinnige Gedanken, u.a. sich „Gott“ vorzustellen, erlaubt sind.

 

Anm.: Es gibt heute bekanntlich Bestrebungen, die menschliche Überlegenheit gegenüber dem Computer hinsichtlich Speicherkapazität oder Kreativität besonders herauszustellen, was an sich schon erste Anzeichen einer zeitbedingten Oberflächlichkeit, wenn nicht sogar Unterlegenheit unseres Selbstverständnisses sind.

 

Wer sich einmal in eine solche unsinnige Idee verbissen hat, lässt oft nicht so schnell davon ab. Ich begann also darüber nachzudenken, welchen Wiederherstellungspunkt ich in meinem persönlichen Leben gedanklich wählen würde, sofern ich dies könnte. Verlockend war auch der Gedanke, einen bestimmten Zeitabschnitt eventuell mit einem Virenscanner etwas zu glätten.

 

Eine Rückkehr in die frühe Jugendzeit wollte ich auf gar keinen Fall, fiel sie doch in die Zeit des Zweiten Weltkrieges und anschließend zum Teil in die Jahre 1945/46 meines Aufenthaltes in der russischen Zone Deutschlands. Die nachfolgende Schulzeit in Innsbruck wäre mir zu beschwerlich gewesen, um sie noch einmal zu „durchleiden“ – obwohl: rückwirkend gesehen, war sie trotz des zugegebenermaßen „autoritären“ aus heutiger Sicht entsetzlichen Frontalunterrichtes gar nicht so erschreckend. Die anschließende Universitätszeit war wegen vieler Freundschaften, einiger ‚Liebschaften’, Bergwanderungen und Laborfesten in eher angenehmer Erinnerung – ich hätte sie vielleicht zurückrufen wollen, wenn – ja wenn da nicht das anstrengende Chemiestudium, sozusagen als ‚conditio sine qua non’ in dieser Zeit inbegriffen gewesen wäre. Mit meinem anschließenden „bürgerlichen Privatleben“ (Ehe, Beruf, Hobbies, Reisen) war ich insgesamt zufrieden, vielleicht hätte ich im Berufsleben mit einem Virenscanner gelegentlich etwas glätten wollen. Und jetzt in meinem Pensions(unruhe)zustand hätte es sowieso wenig Sinn, etwas ändern zu wollen – ich könnte das ja täglich tun und mache das auch, wenn ich (vielleicht zu selbstherrlich) offenkundig unsinnige Dinge einfach als „unsinnig“ bezeichne!

 

Während ich noch in solche Gedanken vertieft war, rief mich der Computer wieder in das „reale“ Leben mit der Meldung zurück:

 

Der gewählte Wiederherstellungspunkt konnte wegen (…) nicht realisiert werden … versuchen Sie es mit einem anderen Datum … Ihr System wurde nicht wieder hergestellt!

 

Gelegentlich hatte ich in solchen Fällen dann nach neuen Wiederherstellungspunkten gesucht, wobei mich regelmäßig wieder diese Gedanken nach einem anderen Wiederherstellungspunkt meines Lebens heimsuchten – ich hätte z.B. nach der Matura anstatt Chemie zu studieren, auswandern können – irgendwohin wo es keine Computer gibt. Das hätte dann wohl den Nachteil gehabt, dass falls ein dringender Wiederherstellungspunkt meines Lebens notwendig gewesen wäre, es vielleicht keine Möglichkeit gegeben hätte, einen neuen Punkt meines Lebens anzusteuern. Auf jeden Fall hätte es mir vielleicht viel Arbeit mit meiner fast „lebenslangen“ Beschäftigung mit dem Computer und dessen Vorstufen erspart.

 

Als tristes ‚facit’ wurden mir schließlich zwei unvermeidliche Dinge für meine Zukunft klar: 1) ich würde mir irgendwann einen neuen Computer kaufen müssen und 2), da ich mir kein neues Leben kaufen kann – allenfalls gegebenenfalls durch Antibiotika eine vorübergehende Wiederherstellung nach einer eventuellen hartnäckigen Bronchitis erreichen kann, bleibt nur die Hoffnung, mit dem bisherigen Leben weiterhin zufrieden sein zu dürfen.

 

(3.11.2015)

 

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