tabu(los) – sexuelle Tabus und Perversion

 

Schlüssellochperspektive - © Alfred Rhomberg

 

 

Das Wort tabu stammt aus dem polynesischen Sprachraum (tapu), in unserem Sprachraum hat es erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts Eingang gefunden und bedeutet etwas, das in einer Gesellschaft strikt verboten ist. Sicherlich hat das grundlegende Werk Sigmund Freuds „Totem und Tabu“ dazu beigetragen, den Tabubegriff gesellschaftsfähig zu machen – entweder im Sinne, dass man etwas bewusst tabuisiert, oder im Gegenteil, dass Tabus dazu da sind, um gebrochen zu werden. Beide Sichtweisen sind falsch, weil sie beide das verdeutlichen, was man gemeinhin als Spießertum bezeichnet(1).

 

Ein Ansatz dieses Beitrags ist das Zitat von Sigmund Freud: „Die Tabuverbote entbehren jeder Begründung, sie sind unbekannter Herkunft; für uns unverständlich, erscheinen sie jenen selbstverständlich, die unter ihrer Herrschaft leben.“

 

Freud irrte hier vermutlich in mehrfacher Hinsicht. Tabus haben immer Gründe/Ursachen, die Herkunft ist meist nachvollziehbar und für uns unverständlich sind sie schon gar nicht.

Der Begriff „tabu“ wird in überwiegendem Maße (weitgehend auch bei Freud) mit Sexualität und deren Formen verbunden und gerade in diesem Zusammenhang gibt es heute kaum noch Tabus, außer bei Kinderpornographie, die zu Recht als Verbrechen aufgefasst wird. Alle anderen Tabus hinsichtlich Sexualität sind nicht nur gebrochen, es wäre sogar tabu, derartige tabus als solche zu bezeichnen – man würde all zu sehr in die Nähe von Spießertum gerückt.

In diesem Zusammenhang drängt sich der Begriff „Perversion“ geradezu auf. Was im 19. Jahrhundert als pervers galt, ist heute selbstverständlich. Begriffe, die sich in so kurzer Zeit relativieren, sollten schon deswegen hinterfragt werden weil sie durch die jeweilige Zeit bestimmt, plötzlich ungültig werden. Werden sie das wirklich? Nicht, wenn man den Begriff „pervers“ so definiert, dass er zu einer von der Zeit unabhängigeren Aussage wird. Bleiben wir beim Beispiel der Sexualität:

 

Nichts hat sich in den letzten Jahrtausenden bei diesem Thema geändert, außer der jeweiligen Einstellung der Gesellschaft dazu. Die aus heutiger Sicht „pornographischen“ Malereien an den Wänden alter römischer Patrizierhäusern sind verblüffend und werden häufig als Rechtfertigung von Pornographie angeführt. Dies wäre ein verhängnisvoller Fehlschluss, weil es sich hier nicht um Pornographie im Sinne von modernen Hochglanzillustrierten oder Pornovideos handelt, sondern eine gewisse Gelassenheit (und Freude) am Leben mit all seinen Spielarten, so wie auch das indische Kamasutra keine Pornographie ist. Dies alles hat mit Perversion nichts zu tun.

 

Der Begriff „pervers“ wird in dem Augenblick enttabuisiert, wenn man ihn nach heutiger Sicht anders definiert: Pervers (insbesondere im Zusammenhang mit Sexualität) ist ein Verhalten, wenn ausschließlich nur dieses Verhalten zur Befriedigung führt. So gesehen sind kaum irgendwelche Spielarten von Sexualität „pervers“, wenn sie in gegenseitigem Einverständnis der Sexualpartner zur Befriedigung führen (man sagt ja nicht umsonst, im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt). Aus diesem Grunde ist Kinderpornographie auch nicht „pervers“ sondern ein krimineller Tatbestand, weil sich Kinder psychisch und physisch nicht wehren können und daher kein gegenseitiges Einverständnis bestehen kann. Gleicherweise ist auch in den meisten Ländern nicht die Prostitution als solche, sondern nur Zwangsprostitution strafbar. Wenn ein Mann (oder Frau) allerdings grundsätzlich nur mit einer/einem Prostituierten Befriedigung fände, müsste man dies wohl als „Perversion“ bezeichnen, weil hier das Faktum gegeben ist, dass er/sie nur dann befriedigt wäre, wenn der Sexualpartner erniedrigt wird.

 

Schwieriger ist es bei diesem Denkansatz, den Begriff „Homosexualität“ einzuordnen. Einerseits ist es erwiesen, dass es eine Anlage dazu gibt, wobei, wie die derzeitige Diskussion zeigt, es selbst Bischöfen schwer fällt, dies zu verstehen (oder zu wissen), andererseits ist erwiesen, dass Homosexualität auch durch das persönliche Umfeld anerzogen und in Einzelfällen wieder „ab-erzogen“ werden kann. Es wäre also vorschnell, Homosexualität in der oben erwähnten Definition, als pervers zu bezeichnen.

 

Der Tabubegriff ist selbstverständlich viel facettenreicher, als ihn nur auf die Sexualität zu reduzieren, doch wäre eine übergreifendere Auslotung des „Tabubegriffes“ vermutlich Thema eine ganzen Buchreihe, weil jede menschliche Kultur ihre eigenen Tabubegriffe hat und dieser Beitrag allenfalls ein Kapitel aus einer derartigen Buchreihe sein könnte.

 

(Redigierte Fassung v. 4.9.2014 – Erstfassung 11.8.2009)

 

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(1) Der Ausdruck „Spießer“ hat verschiedene Wandlungen vollzogen. Anfangs waren es die Bürger mittelalterlichen Städte, die eine Waffe tragen duften, kurze Zeit später galten diejenigen als Spießer, die außerhalb der Städte wohnten und nur Spieße als Waffen besaßen, weil sie billig waren, während die Bürger der Stadt bereits über Schusswaffen verfügten. In unserer Zeit wandelt sich der Begriff immer schneller und zwar in dem Maße, wie sich die Gesellschaft verändert – zuerst waren es die Erfolgreichen des Wirtschaftswunders, dann des Establishments, dann diejenigen die dem Mainstream nachlaufen und bald werden die Gegner des Mainstreams selbst zum „Spießer deklassiert“.

 

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