Stadtleben III - Stadtplanung

 

 

Quadratestadt Mannheim, - © Public domain

 

 

Stadtplanung ist eine Kunst, die irgendwann einmal im Mittelalter im 12. oder 13. Jahrhundert oder vielleicht noch wesentlich früher erfunden wurde und später, ebenso wie die doppelte Buchführung, wieder in Vergessenheit geriet. Die doppelte Buchführung wurde zwar nicht ganz vergessen, sie wird noch immer in den Handelsakademien gelehrt, auch wenn sie in der Praxis durch eine dreifache Buchführung ersetzt wurde: während die doppelte Buchführung auf einer zeitgleichen Buchung von Soll und Haben beruht, haben moderne Unternehmen eine dritte Form entwickelt, bei der das Haben nach geheimgehaltenen Regeln so vermindert wird, dass es vom Finanzamt nicht erfasst werden kann. Es könnte natürlich sein, dass auch die Stadtplanung nicht ganz in Vergessenheit geriet, weil hier vielleicht die Verschleierung so genial gelöst wurde, dass man keinerlei Ansätze von Spuren einer solchen Planung mehr findet. Ganz stimmt das nicht – es gibt noch Spuren in Paris, New York, Karlsruhe und Mannheim. Die Stadt Mannheim wurde z.B. bereits frühzeitig in Quadrate mit zunächst römischen Ziffern eingeteilt, die dann später in arabische Ziffern umgewandelt wurden. Dabei wurde eine schwer nachvollziehbare Logik angewandt – so wurde z.B. das Quadrat XXXI, in das heutige Quadrat P1 umbenannt – E 1 war ursprünglich das Quadrat XXXII (wirklich gelebte Logik!). Waren dies auch schon städteplanerische Versuche einer Verschleierung, oder berücksichtigte man bereits vor Jahrhunderten in weiser Vorausplanung, dass das moderne deutsche Bildungssystem am Ende des 20. Jahrhunderts soweit ausgefeilt war, dass die meisten Schüler römische Ziffern heute nicht mehr kennen?

 

Die Einteilung in Quadrate hat bemerkenswerte Vorteile – man braucht sich keine Straßennamen zu merken: ein typisches Straßenschild ist z.B. D 4 – 1–6, klingt einfach - der Uneingeweihte muss trotzdem meist mehrmals um einen Häuserblock herumlaufen. Bei einer Weiterentwicklung der Stadt hat man dieses Prinzip in den Außenbezirken dann verlassen und den Straßen aussagekräftigere Namen z.B. alter Maler gegeben (von denen keiner in Mannheim gewohnt hatte und deren Namen moderne Schüler ebenfalls nicht kennen. Vielleicht wurde das Quadratesystem ja auch verlassen, weil beim Wachsen der Stadt die Buchstaben unseres Alphabets ausgegangen waren – man hätte also entweder das abendländische Alphabet erweitern, oder wieder auf römische Ziffern zurückgreifen, oder sich mit dem chinesischen Alphabet vertraut machen müssen. Um es den Mannheimern auch inmitten der Quadrate etwas leichter zu machen, gibt es einige wichtige Straßen, wie z.B. die Kunststraße oder die Fressgasse, von denen die erstere nichts mit Kunst zu tun hat und die letztere auch nicht direkt der Nahrungsaufnahme dient (und auch keine Gasse ist) – Currywurst- und Bretzelstände gibt es in der ganzen Stadt dicht gesät. Eine besonders breite Straße hat den phantasievollen offiziellen Namen „Breite Straße“ plus der üblichen Quadratebezeichnungen, was zwar redundant ist – oft ist Redundanz jedoch nützlich, wenn frau/man beispielsweise zu den beginnenden K-Quadraten die Esels/Eselinnenbrücke „Breite Straße“ parat hat.

 

Um solche genialen Planungen durchzusetzen, bedarf es Potentaten (ab Kurfürst aufwärts). Ohne die Zustimmung von Napoleon III hätte George-Eugéne Haussmann in Paris nicht ganze Häuserblocks abreißen können, um dadurch die letzte anspruchsvolle Stadtplanung dieser Stadt zu verwirklichen und ich möchte einen heutigen Wiener Bürgermeister sehen, der mit dem Wunsch von Städteplanern konfrontiert wäre, die Ringstraße zu bauen. New York ist vermutlich die einzige Stadt, wo solche Planungen zumindest in Manhattan ohne vergleichbare Potentaten wie Kurfürsten oder Kaisern möglich war – oder gab es da eine andere Art von Potentaten? Wer bedenkt, dass New York 1630 nur 300 Einwohner hatte (heute weit über 8 Millionen), wundert sich, dass moderne Taxifahrer sich noch in ihrer Stadt auskennen.

 

Doch zurück zur modernen Stadtplanung. Es gibt sie, aber sie arbeitet im Verborgenen, das liegt u.a. auch daran, dass man Baugesetzgebungen, InvestorInnen, PolitikerInnen und – ganz schlimm – BürgerInnen berücksichtigen muss. Meist gelingt es, sich an den BürgerInnen vorbei zu schmuggeln - man spürt die Hast, mit der solche Schmuggelplanungen realisiert werden. Erschwerend ist, dass moderne Stadtplanung aus einem Gremium unterschiedlicher Fachrichtungen und Fachleuten (Geographen, Architekten. Ingenieuren und Stadtplanern bzw. Bürokraten) besteht. Interdisziplinäre Arbeit hört schon innerhalb einer einzigen Wissenschaft auf, bei unterschiedlichen Fachgebieten wäre interdisziplinäres Denken eine Illusion, der nur PolikerInnen erliegen können, bei denen die Kunst des Denkens sich im allgemeinen auf Steuererhöhungen und – was Stadtplanung betrifft, auf die Wünsche von Großinvestoren und das Errichten von Einbahnstraßen beschränkt, die wenn sie im Überfluss vorkommen, den Stadtverkehr vollkommen zusammenbrechen lassen.

 

Und so kann es dann zu einer e-mail Korrespondenz nach folgendem Muster kommen:

liebe kati,
ich wollte Dich vorgestern besuchen, stecke aber seit etwa 15 stunden im stau, melde mich, sobald ich bei dir angekommen bin. Alex

 

Die Antwort kam (fast) prompt:

lb. alex, ich antworte erst heute, ich hatte meinen laptop vergessen und stand beim holen des laptops ebenfalls einen tag im stau. wenn ich dir wirklich etwas bedeuten würde, hättest du auch zu fuß kommen können – diese 20 minuten fußmarsch sollte ich dir schon wert sein. Kati

 

(28.7.2014)

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