Construction/ Destruction I, II, III
I. My Home is my Castle
Die grauen Winterwolken brechen auf, heraus strömt der blaue Himmel auf die vom Winter verwüsteten Felder. Viel Zeit haben sie nicht sich zu erholen – zuerst kommen die Landvermesser und Geometer mit ihren Sextanten als Vorboten der Zerstörung, dann die Bagger und Baumaschinen. Das große Schild der Baugesellschaft mir seinen digital geschönten Wohnzellen ist bereits aufgestellt – wenigstens eine Fassade ist ästhetisch schief! (die „Wohnanlage“ würde sonst in die Landschaft der bereits bestehenden schiefen modernen Bauernhäuser, die schon lange keine Kuh mehr gesehen haben, nicht hineinpassen). Angefangen von der Wärmedämmung, den Kunststofffenstern bis zur Solaranlage ist alles „gefördert“ - die geförderte Destruktion ist ebenfalls garantiert. Die immer noch viel zu hohen Preise der Wohnzellen lassen sich innerhalb von 500 Jahren einsparen, weil die Anschaffung von Pullovern, warmen Socken und entsprechender Unterwäsche wegfällt - Hauptsache: modern, gemütlich und schief!
II. Freunde
Ich möchte wieder einmal Freunde einladen – ich sage bewusst nicht FreundInnen. Unter Freunden verstand ich Menschen beiderlei Geschlechts und wenn ich heute sage: „Darf ich Ihnen meine Freundin vorstellen“, so weiß ich was der Andere denkt - er denkt, ich habe eine neue Freundin, was irgendwie nicht stimmt. Also Freunde - habe ich Freunde? Ich denke schon, aber ich muss nachdenken. Die Facebook-FreundInnen möchte ich ausscheiden, ich habe meine Facebook-Freundinnen sorgfältig ausgesucht, ich kenne ihre Meinungen, ihre Urlaubsfotos und vieles, was ich von meinen „Freunden“ nicht kenne, sie sind mir sympathisch – aber es sind keine Freunde im eigentlichen Sinn. Und schon denke ich über den Sinn des eben verwendeten „eigentlich“ nach. Ich glaube, das „Eigentlich“ besteht darin, dass man zusammen aufgewachsen ist, gemeinsame Erinnerungen hat und sich jederzeit irgendwo treffen kann - ohne einen bestimmten Anlass und ohne besondere Einladung. Wenn ich es so betrachte, habe ich wenig solcher Freunde – sie sind entweder im Ausland, tot, verschollen oder beruflich so arriviert, dass ich sie nicht einfach ohne Grund „einladen“ oder mich mit ihnen an einem unbedeutenden Ort treffen kann. Ich verwerfe den Gedanken, Freunde einzuladen – die Zeit hat viele Freundschaften zerstört und „FreundInnen“ übriggelassen. Einige Freunde gibt es noch – aber mit denen treffe ich mich ja sowieso.
III. Patchwork
Lisa war, glaube ich, mit Joe zusammen, bevor dieser Sophie traf, die zwei Kinder mit Alex hatte – das konnte ja nicht gut gehen und es ging auch nicht gut, sodass sie sich in Freundschaft trennten. Die Kinder bekommen fast neue, allerdings bereits gebrauchte second hand Mütter oder Väter und neue noch nicht gebrauchte Geschwister und zusätzlich neue Partial-Großeltern zu den bereits vorhandenen Fastnichtmehrgroßeltern. Von einem Stammbaum lässt sich da kaum mehr sprechen, eher von einer Vernetzungsgemeinschaft, die im Gegensatz zum Stammbaum, nur die bestehenden Verwandtschaften der Gegenwart umfasst und den bereits vorhandenen Genmix auf neue Weise bereichert, aber die Mendel’schen Erbgesetze und Familienwappen überflüssig macht – eine gigantische Neukonstruktion bei gleichzeitiger Destruktion der Gesellschaft, die nur die SoziologInnen und PsychotheratpeutInnen wirklich erfreut, obwohl diese oft selbst bereits zu den Betroffenen gehören.
(24.3.2013, redigiert Juni 2019)