Neue Form der Dummheit erfordert auch eine neue Form des Nachdenkens  

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Es war für mich immer selbstverständlich, dass es Dummheit gibt - über deren Ausmaß hatte ich früher jedoch  kaum nachgedacht, zumal ich insgesamt nur sehr wenige Menschen gekannt hatte, die ich als "wirklich dumm“ hätte bezeichnen müssen. Das hat sich seit einiger Zeit geändert – die Verbreitung des Internets und ganz besonders seit der weltumfassenden Etablierung der Social Networks ist eine besondere Form von Dummheit - so glaube ich zumindest, in beängstigendem Maße gewachsen. Als Forschungschemiker der Pharmaindustrie musste ich mich schon Anfang der 70er Jahre mit dem Computer befassen, zu einer Zeit also, als es noch keinen PC und Betriebssysteme gab. „Computer“ waren Großrechner und um damit arbeiten zu können musste man Programmiersprachen wie z.B. Fortran erlernen. Als dann das PC-Alter anbrach (ca. 1985), wurde der Computeralltag einige Jahrzehnte zunächst noch schwieriger, weil sich Datenformate, Speichervolumen und das ganze heutige Zubehör praktisch im Wochentakt änderten und selbst ausgebildete Informatiker mit diesen Entwicklungen kaum Schritt halten konnten. Zu dieser Zeit dachte ich noch, dass die Menschen der Industrienationen durch die Verwendung des Computers klüger würden – das Gegenteil ist der Fall, weil durch die billiger gewordenen Kleincomputer (Handys, Tablets etc.) und dadurch schlechter gewordene Schulen eine große Anzahl an Schülern und Erwachsenen ziemlich unbedarft an die neuen Medien herangehen.

 

An dieser Stelle ist es notwendig, den Begriff „Dummheit“ etwas differenzierter zu betrachten. Im Lexikon liest man, dass Dummheit die mangelnde Fähigkeit bedeutet, aus Wahrnehmungen angemessene Schlüsse zu ziehen und daraus zu lernen. Das entspricht ziemlich genau der Vorstellung von Immanuel Kant der den „Mangel an Urteilskraft“ und die daraus resultierende Dummheit als „Gebrechen“ bezeichnet, dem „...gar nicht abzuhelfen sei“. Dem letzteren Satz möchte ich widersprechen, weil echte Dummheit häufig auch mit mangelnder Intelligenz in Zusammenhang gebracht wird und ich nicht behaupten kann, dass sich die Intelligenz in den letzten Jahrzehnten drastisch verringert hat. Dummheit liegt oft auch im emotionalen Bereich, wobei ich meine, dass durchaus intelligente Menschen gelegentlich bis häufig emotionell reagieren können, weil die Möglichkeiten der Manipulation und Indoktrination gerade durch die neuen Medien besonders raffiniert angewendet werden. Nicht umsonst gibt es heute den Begriff „Influencer“, der seit etwa 2007 einen festen Platz im Marketinggeschehen hat - wer ist gegen gute Werbung schon völlig immun?

Wie eingangs erwähnt, scheint die Dummheit seit Erfindung der Social Networks besonders gewachsen zu sein – das ist natürlich nicht wahr: sie wird nur offenkundiger durch die oft entsetzlich einfältigen und primitiven Kommentare zu vielen Beiträgen, die Emotionen auslösen können und die daher auch emotionell angreifbar sind. Diejenigen die so etwas kommentieren sind keineswegs alle unintelligent, sie schreiben meist auch nicht anonym – sie haben rechtschaffene Berufe oder sind PensionistInnen, manchmal sogar Studenten. Und doch haben etwas gemeinsam:

 

• sie sind meist in wirtschaftspolitischer Hinsicht unwissend (mangelnde Bildung ist keine Frage der Intelligenz)

• sie wollen auf sich aufmerksam machen (was im realen Leben oft nicht gelingt, ist in Social Networks bekanntlich sehr einfach)

• sie reagieren im Netz oft „überemotional“, besonders wenn es um Themen/Probleme geht, die sie nicht wirklich verstehen und lassen sich dabei zu Hetz- und Hassparolen hinreißen (z.B. Europawahl 2019 oder die „Ibiza-Affaire“ in Österreich).

 

Resumée: Wir alle wollen „Demokratie“ – zur Demokratie gehört Meinungsfreiheit die gelegentlich auch Dummheit beinhaltet. Wenn die Dummheit in den Medien und besonders in Social Networks jedoch weiter so rasant zunimmt, gibt es bald keine Demokratie mehr und es besteht die Gefahr, dass sie, wie heute wie in Ungarn, zur illiberalen Demokratie wird. An diesem Punkt angelangt sind Diktaturen dann nicht mehr fern.

 

(23.5.2019)

 

 

 

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