Das Symposium
 

Das Symposium - © Alfred Rhomberg

 

 

Von Zeit zu Zeit erinnert sich das Kurhaus an seine ehrwürdige Jugendstil-Vergangenheit, als noch elegante Herren und Kurschatten aus den staubigen Städten Mitteleuropas zusammenfanden und sich zelebrierten. Heute sind es die WissenschaftlerInnen aus aller Welt, die dem Kurhaus das Gefühl jener Bedeutung wiedergeben, an der es jetzt für wenige Tage durch die zur Schau getragene Wichtigkeit der KongressteilnehmerInnen partizipieren darf. Die Kleidung der Kongressteilnehmer ist korrekt, die Herren haben ihren schlampigen Hochschullook durch die üblichen förmlichen Businessanzüge ersetzt, die Damen in ihren Kaufhauskleidern mit den dazu unpassenden Accessoires behängt, schwirren bereits etwa eine Stunde vor den offiziellen Begrüßungsreden durch die ehrwürdigen Hallen, die sich an elegantere, teurere Roben des Fin de siècle erinnern können. Viele drängen sich am Informationsschalter, um ihre Anwesenheit offiziell eintragen zu lassen und ihre Postadressen für die „abstracts“  - wozu auch immer - zu hinterlegen. Überall wird alles und jedes digital auf kleinen Chips gespeichert, deren Inhalte später am Computer oder in USB Sticks verhungern, sofern sie nicht von ähnlichen Ereignissen, die es ja fast wöchentlich gibt, sorgfältig getrennt katalogisiert werden. Bei manchen ProfessorInnen fragt man sich, ob ihre Reisetätigkeit es überhaupt noch zulässt, wissenschaftlich zu arbeiten – man täuscht sich: gelegentlich fragen sie per Handy ihre zuhause gebliebenen wissenschaftlichen MitarbeiterInnen, ob es sie noch gibt – seriöse InstitutsleiterInnen fragen zudem, ob es auch wissenschaftlich etwas Neues gibt. Doch - es gibt immer irgend etwas Neues - das „was“ ist nicht so wichtig – ausreichend Material für die nächsten Vorpublikationen und zukünftige „abstracts“ sollte es halt sein. 

 

Spätestens jetzt weiß das Kurhaus, dass es in der Zukunft angekommen ist und gerade eine Renaissance erlebt. Die meisten der TeilnehmerInnen sind (wie die früheren Kurgäste) Schmarotzer der Gesellschaft, mit dem einzigen Unterschied, dass die neuen Schmarotzer ihr Hiersein nicht selbst bezahlen müssen, während die früheren jenes Geld ausgaben, das sie ehrlich durch die Ausbeutung anderer verdient hatten.

 

Und doch hat sich vieles geändert – auch Großkongresse sind im Global Village angekommen. Diaprojektoren und selbst die vom Laptop aus bedienbaren Beamer sind schon fast out. Immerhin gibt es bereits apps, die es erlauben, die Vorträge vom Tablet-PC oder am Handy  sogar außerhalb der Vortragssäle per Knopfdruck in der Cafeteria zu verfolgen - alle gerade parallel verlaufenden Vortragssitzungen sind per Eingabe einer Vortragsnummer abrufbar – sogar die bereits vorliegenden abstracts, die früher eigentlich erst nach der Tagung zusammengestellt wurden.  Was heißt da „abstracts“? Fast alles wurde bereits vor der Tagung in online-Portalen mehrfach publiziert, da lassen sich die abstracts leicht drei Monate vorher zusammenstellen.

 

In den ehemals interessanten „Posterhallen“ präsentieren noch immer einige ihre bereits publizierten wissenschaftlichen Arbeiten in Kurzform. Sie stehen vor ihren armseligen aber grafisch perfekten Nichtmehrneuheiten und gleichen damit Marktfrauen, die ihr alt gewordenes Gemüse wohlfeil anbieten. Vielleicht kommt ja doch zufällig ein Japaner oder Chinese vorbei, der sein Poster digital festhält – wenn nicht, bittet er seine „Assistentin“ (die zeitgemäßere Form von Kurschatten), ihn vor seinem Poster abzulichten, damit seine Anwesenheit vielleicht in irgendeiner Universitätszeitschrift oder  Industrie-Betriebszeitung als Beweis seiner erfolgreichen Tätigkeit dokumentiert wird.

Eigentlich brauchte es diese Mammut-Kongresse in unserem Global Village nicht mehr zu geben – der Zweck besteht darin, vom Staat erhaltene Budgets weiterhin zu erhalten, oder sich in seiner Firma dafür zu rechtfertigen, dass frau/man auf Firmenkosten den Kongress besuchen durfte.

 

Das Kurhaus dachte sich, es habe schon bessere wissenschaftliche Tagungen erlebt und auch der Unterschied zur ehedem selbstgefälligen Gesellschaft des Fin de siècle - sofern man von den apps und abstracts absieht, war gar nicht so groß. Einzig das „Dabeisein“ ist (und war) das Eigentliche, was zählt.

 

(Version 8.9.2014)

 

P.S. Der Autor hatte während seiner Berufszeit unzählige Kongresse besucht (Chemisch-analytische Forschung, Medizin, Computerkongresse u.a.). In den Jahren zwischen ca. 1970 und 1990 hatten sich mit Ausnahme der Computerkongresse, fast alle Kongresse substanziell verschlechtert. Die Zahl der TeilnehmerInnen wuchs rasant und damit die Qualität der Vorträge. Bei Kongressen der Pharma-Medizinindustrie war es selbstverständlich, dass die vorgetragenen Arbeiten vorher bekannt waren, keine Firma hätte es erlaubt, nicht patentierte und weit fortgeschrittene Entwicklungen ohne Einverständnis der Rechtsabteilungen vorzutragen – wesentlich wichtiger waren die persönlichen Kontakte am Rande der Kongresse am Abend in den Hotelbars oder bei Social Events. Auch hierbei wurden keine „Geheimnisse“ verraten, sondern eher über allgemeine theoretische Entwicklungen gesprochen. Solche Kontakte hatten bei der wachsenden Anzahl an TeilnehmerInnen zunehmend nachgelassen. Bei den heutigen Mammutkongressen steht, insbesondere im Fach Medizin, die namentliche Präsenz der Vortragenden in Fachzeitschriften, Kongressberichten und im Internet im Vordergrund.

 

Kongresse fanden und finden auch heute meist in landschaftlich reizvollen Städten statt (an Universitäten, in Kongresshallen und Kurhotels). Die schönsten von mir besuchten Kurhotels bzw. Hotels waren in Wiesbaden, Scheveningen, Locarno, Madrid, Grandhotel Baglioni/ Florenz und an Universitäten in Amsterdam, Paris, Antwerpen und Graz. Kongresse in Ostblockstaaten konnten damals von der Atmosphäre her nicht mithalten.

 

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