Hauptbahnhöfe und Nebengleise

 


Wirrwarr im Zentrum der Synapsen - © Alfred Rhomberg (Acryl)

 

 

Ein geistiger Hauptbahnhof ist jenes Zentrum in unserem Gehirn, in welchem alle wichtigen Züge – gelegentlich auch Gedanken genannt – ankommen und zu etwas insgesamt Sinnvollem oder Sinnlosem zusammengefügt werden. Im Gegensatz zu einem normalen Hauptbahnhof sollten die Gedankenzüge dort zumindest jedoch etwas verweilen, bevor sie entweder auf ein unzugängliches Abstellgleis – fahrlässigerweise Unbewusstsein genannt – abgestellt werden, dort verrotten, um im günstigsten Fall von einem Oberstationsvorstand wieder einer besonderen Verwendung zugeführt, oder aber gleichfalls von einem Oberstationsvorstand, ihrer ordnungsgemäßen Bestimmung (Fahrplan) zur Weiterfahrt freigegeben werden. Manche Menschen verfügen in ihrem Gehirn nicht über Kopf- sondern nur Durchgangsbahnhöfe. Gedankenzüge aller Art werden dort, unabhängig von ihrer Sinnhaftigkeit einfach durchgeschleust, ohne positiv oder auch negativ nützlich zu sein. Durchgangsbahnhöfe entsprechen eher unserer schnelllebigen Zeit, weshalb sie zumindest von Stadplanern bevorugt werden, was oft zu Bürgerprotesten führt (siehe Stuttgart 21). Besonders für mediale Gedankenzüge sind Durchgangsbahnhöfe besser geeignet, weil die Kapazität der Abstellgleise eines Kopfbahnhofes sonst unsinnigerweise belastet würde und nicht alle medialen Gedankenzüge der sofortigen Selbstverrottung unterliegen. Im Gegenteil – viele dieser Gedankenzüge wirken den Gesetzen der Physik entgegen und neigen zu gigantischen Massezunahmen, die schon fast einem „Schöpfungsakt“ ähneln, der möglicherweise nie endet. Diese medialen Gedankenzüge nehmen nach dem Muster der biblischen Brotvermehrung in jeder weiteren Bahnhofstation neue virtuelle Gedankenwagons auf, welche dann für einige Zeit alle Weltbahnhöfe durchrasen, bis sie erschöpft zuerst ins Stocken geraten, um dann erstaunlicherweise doch einem sehr schnellen Verrottungsprozess zu unterliegen. Dieser macht dann Platz für neue mediale Gedankenzüge, wobei allen diesen Gedankenzügen die Gefahr anhaftet, dass sie häufig entgleisen. Früher hatten sich verantwortungsvolle mediale Bahnhofsvorsteher noch gelegentlich für derartige Entgleisungen entschuldigt, heute fehlt das entsprechende Personal oder, falls es noch mediale Oberbahnhofsvorstände gibt, fehlt es diesen entweder am erforderlichen Verantwortungsgefühl, an innerer Einsicht – oder aber: sie sind zunehmend durch die mediale Selbstvermehrung der zu kontrollierenden Gedanken- bzw. Nichtgedankenzüge so überfordert, dass die obersten Bahnverwaltungen derartige Positionen aus Kostengründen streichen, um mit dem eingesparten Geld die Bahnhofsgedankenbildungsreformen zu fördern, indem sie mit Hilfe zahlloser Aus- und Unterausschüsse, Pro- und Kontrapositionen alle geistigen Prozesse jenen artherosklerotischen Veränderungen zuführen, die als natürliche Hinverkalkung gottgegeben, oder, weniger metaphysisch, medizinisch bedingt ist.

 

Dagegen lässt sich nichts machen - es ist halt so! Geistige Fahrpläne sind Relikte einer vergangenen Zeit – wer das nicht einsieht, muss mit „verstaubten“ aber nach der Entstaubung noch immer recht brauchbaren Bildungssystemen vorliebnehmen, so wie auch nicht alle Bahnhöfe unserer westlichen Welt dringend eines Totalumbaus oder Neubaus bedürfen. Das sehen PoliterInnen und mediale OberbahnhofstvorständInnen natürlich ganz anders. Dieser Personenkreis hält sich für zukunftsorientiert und nimmt die totale Orientierungslosigkeit geistiger und technischer Verdummung nicht nur in Kauf, sondern hält sie sogar für fortschrittlich.

 

Auch unsere für die Verarbeitung geistiger Prozesse verantwortlichen Gleis- und SynapsenforscherInnen (oft Neurophysiologen genannt) interessieren sich mehr für die Bio-Logistik der von ihnen erforschten Gleisanlagen, als für den Sinn durchreisender Inhalte – dafür wären dann die Philosophen, Psychologen, Psychotherapeuten, Psychiater und Theologen zuständig – aber das wäre ein anderes Thema, welches allerdings den altmodischen Kopfbahnhöfen den Vorzug gäbe.

 

(1.7.2013)

 

  

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