Jahrestagung der rumpflosen Gehirne

 

 

Einladung - (c) Alfred Rhomberg

 

Die vom Rumpf abgetrennten Gehirne begegneten sich bei ihrer Jahresversammlung, die regelmäßig zum Gedankenaustausch und zu einem gemütlichen Beisammensein bei einem köstlichen Menü von Neurotransmittern und Transaminasen stattfindet.

 

Dabei kann es nicht ausbleiben, sich über frühere Zeiten auszutauschen, Zeiten als sie noch von Rümpfen dominiert waren. In Wahrheit – hier waren sich alle anwesenden Hirne einig – waren sie ja nicht von den ihnen zugeordneten Rümpfen abhängig, wie es die Rümpfe meist von sich behaupteten – im Gegenteil, die Rümpfe wurden von ihren Gehirnen dominiert. Schließlich gingen ja auch solche Entscheidungen wie sich umzubringen, letztlich vom Gehirn aus – es hatte also jedes Gehirn die Entscheidungsfreiheit, sich von seinem Rumpf zu lösen.
Hatten die Gehirne diese Entscheidungsfreiheit wirklich?

 

Bei der Diskussion dieser Frage, die regelmäßig bei solchen Anlässen wieder aufflammte, kam es ebenso regelmäßig zu Streitgesprächen, die das gemütliche Beisammensein gefährdeten.

Ein Gehirn meinte, dass ein Wille immer dann handlungsaktiv würde, solange die Handlungsfreiheit des Willens nicht eingeschränkt wäre – ein schwieriger Satz! „Aber wer ist der Erstauslöser des Willens?“, fragte ein anderes Gehirn.

 

Ein schon immer als sehr kompliziert bekanntes Hirn meinte dazu:

 

“Die einzige Möglichkeit, einen wirklich freien Willen zu manifestieren, wäre, etwas zu tun, wozu es keinerlei Veranlassung gibt. Und da dies selbst die Veranlassung wäre, ist dies unmöglich”

Die anderen Hirne waren beeindruckt, weil sie nicht wussten, dass dieser Satz eigentlich von einem noch lebenden Jazzmusiker stammte, der sich auch mit Grundlagenforschung der Lernpsychologie und Neurologie beschäftigte (Torsten de Winkel, geb. 1965).

 

Als dann ein weiteres Gehirn die Frage nach Gott und seinem Einfluss auf den freien Willen ins Spiel brachte, kam es zu tumultartigen Diskussionsformen, die das diesjährige gemütliche Beisammensein der Hirne jäh beendeten – dabei hatten sie noch nicht einmal die jährlich immer wieder aufkommenden Fragen zum Determinismus diskutiert.

 

Das Hirn von Pierre-Simon Laplace, der 1814 das Laplacesche Dämon als Gedankenexperiment zum Determinismus vorgeschlagen hatte, verließ gekränkt als erstes die Versammlung.

 

Noch nie waren so viele Neurotransmitter, die Hirne nun einmal brauchen, unverzehrt übrig geblieben.

 

 

(2011)

 

 

 

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