Irren ist menschlich – aber welche Fehler sind erlaubt?

 

 

Fehlerhafte Uhr - (c) Bearbeitung einer Produktinformation Alfred Rhomberg

 

 

Die Frage scheint dumm – aber erstens ist „irren“ tatsächlich menschlich und zweitens sind auch dumme Fragen erlaubt. Kleine Fehler sind wir gerne bereit zu verzeihen – obwohl der allerkleinste (scheinbar unbedeutende) Fehler eine Fehlerkette mit katastrophalen Folgen auslösen kann. Ein kleiner Fehler wäre es z.B., während des Autofahrens mit dem Handy zu telefonieren. Wenn nichts passiert, war es ein kleiner Fehler, sollte dadurch jedoch ein Auffahrunfall verursacht werden, der weitere Unfälle mit Todesopfern verursacht, so würde der erste, noch kleine Fehler nachträglich zum unverzeihlichen Fehler. Wenn dagegen ein Arzt einen Kunstfehler bei einer Operation begeht und der/die PatientIn stirbt, ist das für uns, ohne nachzudenken, immer ein „schwerer“ und daher unverzeihlicher Fehler. Ein und derselbe Fehler wird also hinsichtlich seiner „Fehlerqualität“ nach normalem menschlichen Empfinden und erst in zweiter Linie nach den möglichen Folgen beurteilt – mit anderen Worten: „irren“ ist zwar menschlich, wäre aber in Hinblick auf das Schlimmstmögliche eigentlich nie erlaubt – und trotzdem irren wir und machen Fehler.

 
Handlungstheorie


In Handlungstheorie wird zwischen Denk-, Planungs- und Handlungsfehlern(1) unterschieden – der moralische Aspekt wird bei dieser Sichtweise nicht berücksichtigt – aber gerade darin liegt die zunehmende Diskrepanz wischen unserer technisierten Welt und unserem menschlichen „Sosein“, was zunehmend zu Konfliktsituationen führt, weil die meisten Menschen, im Gegensatz zu früher, durch eine von uns selbst geschaffene technische Welt überfordert werden.


Wer als Autofahrer sein Handy benutzt begeht einen „Handlungsfehler“, bei dem oben genannten Arzt ist es sowohl ein Denk- als auch ein Handlungsfehler – aufgrund seiner Ausbildung wiegt dieser Fehler fachlich und juridisch schwerer (obwohl auch der Arzt nur ein Mensch ist). Der Arzt soll hier keineswegs in Schutz genommen werden – in einer gerichtlichen Untersuchung seines Fehlverhaltens geht es dann ausschließlich darum, ob ihm Grobfahrlässigkeit oder nur Fahrlässigkeit nachgewiesen wird, ein Unterscheidungsmerkmal, das wie in vielen ähnlich gelagerten Fällen schwere juridische Konsequenzen hat(2). Die dritte juridische Möglichkeit des „Vorsatzes“ kann wohl in den meisten Fällen ausgeschlossen werden.


In unserer technischen Welt machen wir es uns leicht: Technische Sicherheit wird mit ISO-Normen durch Normenausschüsse definiert, die Arzneimittelsicherheit durch das Einhalten der von der WHO (World Health Organization) oder FDA (Food und Drug Administration) geforderten Sicherheitsstandards bzw. durch Studien belegte Fakten legalisiert. Werden Menschen trotzdem geschädigt, so haften die genannten Gremien nicht – alle derartigen Gremien und Ausschüsse sind irgendwie unantastbar, obwohl sie sich aus lauter Menschen zusammensetzen, die alle irren können.

 
Der Zweck dieses Beitrags ist nicht, sich auf Ausschüsse oder geltendes Recht zu berufen, sondern die nicht so leicht fassbaren psychologischen Aspekte des Irrtums und menschlicher Fehler zu verdeutlichen, wozu einige Beispiele nützlich sein können.

 
1. Entscheidungsprozesse gehören zu den selbstverständlichen Aufgaben des menschlichen Gehirns. Entscheidungen die sehr schnell oder unter einer Konfliktsituation getroffen werden müssen, führen fast automatisch zu Handlungsfehlern.


2. Wichtig ist die Fehlerbewusstheit. Dazu zwei Zitate von Konfuzius:

 

·  Wer sich seiner Fehler schämt, macht sie zu Verbrechen

 
und:


·  Nur die Weisesten und die Dümmsten können sich nicht ändern

 
Die Fehlerbewusstheit ist ein ganz ausschlaggebender Faktor zur Frage der Titelüberschrift: welche Fehler sind erlaubt? Fehler, deren frau/man sich bewusst ist, sollten naturgemäß nicht ständig wiederholt werden – ansonsten wird das „Fehlermachen“ zur Verantwortungslosigkeit.


3. Fehler können durchaus positiv für uns sein. Hierzu ein Zitat von Henry Ford:

 

·  Unsere Fehlschläge sind oft erfolgreicher als unsere Erfolge


Auch von Konfuzius stammt ein fast sinngleiches Zitat:


·  Wer einen Fehler gemacht hat und ihn nicht korrigiert, begeht einen zweiten

 
Resumée: Fehler sind nicht grundsätzlich erlaubt und durch den Satz „irren ist menschlich“ sanktioniert, sie kommen vor und sind Teil unseres Lebens. Den gleichen Fehler zu wiederholen, wäre Dummheit oder Verantwortungslosigkeit. Und auch ein Arzt kann, sofern er Neuland betritt, verzeihbare Fehler mit Todesfolge begehen, die nach gängiger Schulmeinung „Handlungsfehler“ waren (genannt seien u.a. die erste Herztransplantation des Chirurgen Christian Barnard oder die erste Operation am offenen Thorax mit Todesfolge durch den Chirurg Ferdinand Sauerbruch). Nicht reparierbare Fehler sind zwar stets grausam, gehören jedoch zu unserem menschlichen „Sosein“ ebenso dazu, wie die Angst oder übertriebene Vorsicht, überhaupt keine Fehler zu machen.

 

Was von Gremien, Ausschüssen und unserer Judikatur zu wenig berücksichtigt wird, ist die Tatsache, dass jeder Mensch sein eigenes Schicksal hat, das nicht in Normen pressbar ist – da ist es wenig hilfreich, komplizierte Sätze zu formulieren wie den Satz von Prof. Dr. Martin Weingardt(3)

 
·  Als Fehler bezeichnet ein Subjekt angesichts einer Alternative jene Variante, die von ihm – bezogen auf einen damit korrelierenden Kontext und ein spezifisches Interesse – als so ungünstig beurteilt wird, dass sie unerwünscht erscheint.

 
Der Satz ist im Prinzip richtig, durch schwammige Begriffe wie „spezifisches Interesse“ oder „unerwünscht“ jedoch in der Praxis wenig aussagekräftig.

 

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(1) Der Begriff „Handlungstheorie“ wird in der Philosophie, Soziologie und unter dem Aspekt der politikwissenschaftlichen Theorie des Behavioralismus etwas unterschiedlich, jedoch wesensverwandt gebraucht (in der Logik und für Mathematiker sind Denkfehler schlimmer als Handlungsfehler)

 
(2) Der Autor des Beitrages musste sich in der chemischen Industrie intensiv mit diesem Thema beschäftigen, insbesondere weil die Gesetzgebung des Arbeitsschutzes oft stark von der Realität der Praxis abweicht – Juristen begeben sich nun einmal nicht in chemische Laboratorien, bevor sie ihre Gesetze formulieren.


(3) Dr. rer. soc., Dipl.-Päd. Leiter der Abteilung Schulpädagogik im Institut für Erziehungswissenschaft (Nürtingen)

 

 

(29.01.2011)

 

 

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