Schuld sind die Regentropfen

 

 

 

Regentropfen - (c) Alfred Rhomberg

 

 

Die ersten Tropfen durchdrangen zunächst nur meine Kleidung, dann arbeiteten sie sich durch die Haut vor, bis sie schließlich mein Nervensystem erreichten und sich dadurch einen einfachen Weg zu meinem Gemüt verschafften. Der dort angerichtete Schaden ließ sich nicht ohne therapeutische Maßnahmen oder Versprechungen der Meteorologen, der Regen würde in den nächsten Tagen wieder nachlassen, beheben. Mein Gemüt fühlte sich – drücken wir es im einfachen österreichischen Volkston aus: „inkommodiert“. Verschiedene Mechanismen meines biochemischen und zellulären Innenlebens, das ich bisher nicht so explizit kannte, versuchten das Schlimmste zu verhindern – mein Gemüt ersparte mir trotzdem nicht den Vorwurf, mich dem Regen ohne europaweit geltende Schutzmaßnahmen ausgesetzt zu haben. Zunächst versuchten Helferzellen, die an sich für Wichtigeres vorgesehen sind, die Nervenstränge vor eindringendem Wasser zu schützen, dann benachrichtigten sie die zuständigen Funktionssysteme, um Endorphine d.h. körpereigene Opoidpeptide oder Glückshormone – auszuschütten, wobei sie wegen der für sie ungewohnten und daher offenbar ungeübten Tätigkeit, einige Moleküle davon verschütteten und daher zu wenige davon mein Gemüt erreichten. Mein Gemüt bestrafte die ihm untergebenen Systeme sofort mit dem Befehl zur Ausschüttung ungewohnt hoher Adrenalinmengen, wohlwissend, dass es dadurch nicht nur seine direkten Zuarbeiter, sondern auch mich als den eigentlich Schuldigen bestrafen würde – ich hätte ja tatsächlich zuhause bleiben und mir die Regentropfen wohlgeschützt durch die Fensterscheiben betrachten können.

 

Unabhängig von dieser Regentropfenverstimmung muss festgestellt werden, dass mein Gemüt und ich auch sonst nicht immer gleicher Meinung sind. Wenn die Meinungsverschiedenheiten zu stark differieren, trinke ich ein Glas Rotwein, schlimmstenfalls greife ich zu einer Valiumtablette, von der ich weiß, dass diese chemische Keule nicht mich, aber mein Gemüt so schwächt, dass es – krankheitshalber – vorübergehend seinen Dienst verweigert. In solchen Fällen – also frei von der Diktatur meines Gemütes, komme ich gelegentlich auf die ausgefallensten Ideen – u.a. zu der Frage, wozu ich mein Gemüt überhaupt brauche. Manche Menschen scheinen bekanntlich recht gut ohne Gemüt auszukommen – oder sie haben ein ganz anders geartetes Gemüt – vielleicht ein aus China importiertes Billig- bzw. Kunststoffgemüt aus dem Supermarkt, jedoch sicherlich keines, für das die in Wikipedia nachzulesende Definition gilt:

 

„Mit Gemüt wird die durch die Gesamtheit der Gefühls – und Willenserregungen erworbene Einheit und Bestimmtheit des Seelenlebens bezeichnet. Das Gemüt wird dabei, vergleichbar den Emotionen oder der Sinnlichkeit, als Gegenpol zur Intelligenz bzw. zum Verstand gesehen.

 

Ich gebe zu, dass ich nach dem Studium dieser Passage etwas verwirrt bin – Gemüt und Intelligenz scheinen offenbar Gegensätze zu sein. Ich muss mich also entscheiden, ob ich meinem Gemüt ein Kündigungsschreiben zusende, es zukünftig etwas pfleglicher behandeln werde oder vielleicht meine Intelligenz mit Hilfe der hierfür käuflichen Fachliteratur steigern wollte. Ich werde darüber nachdenken – die kleinliche Reaktion meines Gemütes auf die paar Regentropfen hatte mir jedenfalls nicht gefallen und ich bezichtigte mein Gemüt der Hypochondrie, außerdem versuchte ich es davon zu überzeugen, dass es mich künftig mit den Auswirkungen von Wetterschwankungen aller Art in Ruhe lassen solle. Mein Gemüt verteidigte sich, die Regentropfen seien an allem schuld, was diese bestritten und mir über den Umweg bestimmter Hirnareale vorwarfen, die Titelüberschrift sei eine Sachverhaltverkürzung bzw. der dilettantische Versuch, nicht über die wahren Ursachen nachzudenken zu wollen - jeder wisse doch, dass die eigentlich Schuldigen die Wolken seien. Darauf meldeten sich andere Hirnareale und meinten, ein solcher Streit führe zu nichts, würde frau/man so argumentieren, käme es sofort zur der Frage, wer an den Wolken schuld sei, denn diese würden die Schuld auf das Klima abschieben, welches seinerseits sofort mit der Ausrede kontern könnte, der Treibhauseffekt und damit der Mensch – also auch ich – seien schuld, usw. Und so machten alle zusammen, mich eingeschlossen, die Regentropfen zum Prügelknaben - schließlich könnten diese ja auch bewohnte Gebiete vermeiden und nur in Wüstenlandschaften fallen, was wenigstens irgendeinen Nutzen hätte.

 

(22.3.2013) 

 

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