Der Lobbyist – das unbekannte Wesen
Lobbyisten sind Menschen wie du und ich – nur verdienen sie etwas mehr und für alle gilt grundsätzlich die Unschuldsvermutung.
In einer Talkrunde (2012) sagte die Leiterin eines Lobbistenverbandes (so etwas gibt es in Österreich seit etwa 2006 und sicher auch in anderen Ländern), dass über 99 Prozent aller Lobbyisten völlig ehrenwert seien und man dem Beruf des Lobbyisten Unrecht täte, weil nur ganz wenige (d.h. nicht einmal ein Prozent) den ganzen Berufsstand in Misskredit brächten.
So weit, so gut – woher weiß frau/man eigentlich, dass so viele (1 %) den ehrenwerten Beruf in Misskredit bringen - alle in Untersuchungsausschüssen befragten Lobbyisten sagten doch bisher, dass alles in Ordnung sei und zudem für sie die Unschuldsvermutung gelte. Wenn das schon für diejenigen gilt die vor einem Untersuchungsausschuss sitzen müssen, um wie viel mehr ist logischerweise „alles in Ordnung“, die nicht dort vorgeladen sind – also sind vermutlich tatsächlich wesentlich mehr als 99 % aller Lobbyisten ehrenwert (oder man konnte ihnen noch nichts nachweisen).
Was ist Lobbying?
Dazu eine Definition aus der Wikipedia-Enzyklopedie (Vorgang des Lobbying):
Definitionen des „Lobbying“ enthalten häufig vier Merkmale:
Carsten Bockstette definiert Lobbyismus wie folgt: Lobbyismus ist der Versuch der Einflussnahme auf Entscheidungsträger durch Dritte (Ende des Zitates).
Dazu ist die Frage erlaubt: Wozu brauchen große Firmen und die Politik diese „Dritten“?
Von Seiten großer Firmen wurden früher alle vier Merkmale des Lobbying durch hauseigene Fachabteilungen, u.a. die Presse- und Werbeabteilungen bestmöglich erfüllt. Für die strategische Ausrichtung waren Marketingabteilungen und das "Strategic Controlling" verantwortlich. Dagegen verfügt ein berufsmäßiger Lobbyist nur selten über jenes Wissen, das eine Firma über ihre eigenen Produkte besitzt.
Auf der Regierungsseite scheint es innerhalb der Ministerien fachlich versierte Kräfte anscheinend auch nicht in dem Maße zu geben, wie dies wünschenswert wäre.
Eine Firma, die bezüglich der genannten Definitionsmerkmale auf „Dritte“ zurückgreifen muss, stellt sich also selbst ein Armuts- oder Unfähigkeitszeugnis aus, ebenso wie Regierungsmitglieder, die sich all zu oft auf Empfehlungen „Dritter“ verlassen. Aufgabe jeder Ministerin, jedes Ministers sollte es sein, sich mit Mitarbeitern im eigenen Hause zu umgeben, sowie unabhängige wissenschaftliche/technische BeraterInnen einzuschalten, wenn es um wichtige Entscheidungen geht. "Lobbyisten" der üblichen Art, die ja nur eine Art Maklerfunktion ausüben, wären eigentlich überflüssig.
Anm: Es ist müßig den genderneutralen Namen LobbyistInnen zu gebrauchen – entweder gibt es keine „Innen“ oder sie sind alle so ehrenwert, dass sie nicht vor Untersuchungsausschüssen sitzen müssen.
Wie auch immer – während meiner 1996 beendeten Berufstätigkeit in einem großen deutschen Pharmakonzern, gab es den Begriff noch nicht. Große Firmen verfügten über eigene fähige Mitarbeiter, um notwendige Schritte zur Promotion ihrer Produkte bei ihren Kunden (im speziellen Fall Ärzte, Kliniken und Apotheker) einzuleiten und – wenn erforderlich - mit Ansprechpartnern der Regierung zu verhandeln. Bei anstehenden Gesetzen wurden Vertreter des Gesundheitsministeriums zu Vorträgen und Gesprächen in die Firma eingeladen, wobei es sich als sinnvoll erwies, dass die jeweiligen GesundheitsministerInnen ihre Staatssekretäre oder andere Fachleute ihres Ministeriums entsendeten, weil die MinisterInnen selber meist nicht vom „Fach“ waren. Dass die eingeladenen Gäste mittags im Gästecasino zum Mittagessen eingeladen wurden, konnte bei bestem (oder schlechtesten) Willen nicht als Bestechung aufgefasst werden.
Heute scheint es weder in großen Firmen, noch in den Ministerien geeignete Mitarbeiter zu geben, um derartige Tätigkeiten wahrnehmen zu können – es bedarf also der „Lobbyisten“. Die Einkünfte dieser Lobbyisten und die Verwendungszwecke sind ordentlich oder unordentlich dokumentiert – auf jeden Fall scheinen die Einkünfte der Lobbyisten „ordentlich“ hoch zu sein.
Und wie können sich kleine Firmen oder Non-Profitorganisationen, die nicht über genügende Mittel verfügen, Lobbyisten leisten? Gar nicht – sie sind (wie in früheren Zeiten) auf ihre eigene Tüchtigkeit angewiesen.
Notabene: Und dann gäbe es selbstverständlich für größere öffentliche Aufträge auch die EU-Ausschreibungspflicht – aber um auszuwählen, welche Firma den Zuschlag erhält bedarf es dann vermutlich wieder der Lobbyisten.
Anm.: So geheim wie in der Eingangsgrafik dargestellt, darf man als Lobbyist natürlich nicht aussehen – es sind ja Menschen wie du und ich und daher oft im Jagddress mit Jagdhunden, auf Golfplätzen oder bei exklusiven Empfängen anzutreffen.
(Version 16.2.2013)