Wie finster war das Mittelalter?

 

 

 

Pfennig, Mönchskopf im "Sechspass" (ca. 1,2 cm mit Riss), Münzherr Albrecht III, der Fromme (1401-60), Prägeort München - (c) Foto: Alfred Rhomberg

 

Es gibt unterschiedliche Zugangswege um das Mittelalter zu verstehen, für mich waren es drei: die mittelalterliche Musik, die Literatur und die Münzen dieser Zeit. Wollte frau/man die Titelfrage nach dem Erscheinungsbild von Münzen beantworten, so wäre das Mittelalter tatsächlich finster gewesen – die Münzen sind primitiv und archaisch im Vergleich zu denjenigen des Altertums. Insbesondere im alten Griechenland war die Kunst der Prägemeister lange Zeit unübertroffen. Eine mit den griechischen Münzen vergleichbare Prägekunst (eher aus technologischer Sicht) gibt es erst wieder in den letzten Jahrhunderten, wobei die modernen Euromünzen allerdings erbärmliche Zeugnisse unserer „Münzkultur“ sind, deren Wert zwar von Blinden ertastet werden kann, bei denen jedoch die meisten „nichtblinden“ Menschen, älter als 60, bei elektrischer Beleuchtung in Supermärkten Erkennungsschwierigkeiten haben.

 

Das Mittelalter ist eine lange Zeitepoche, die aus heutiger Sicht etwa um 500 n.Chr. beginnt und gegen 1500 n. Chr. endet. In Wirklichkeit waren die Übergänge sowohl von der Antike her kommend, als auch später zur Neuzeit fließend. Den Namen „Mittelalter“ findet man erstmals bei dem 1304 in Arezzo geborenen Dichter Francesco Petrarca, der sich in Anbetracht der klassischen Kunst in einer armseligen Epoche sah und auf eine baldige Erneuerung der antiken Kultur hoffte. Während der Zeit von 500-1500 war das Auf und Ab dieser langen geschichtsträchtigen Zeit an deren Münzen nicht erkennbar, was umso erstaunlicher ist, als das Mittelalter in seinen Kunstwerken (Architektur, Bildhauerei und Malerei) durch absolute Höhepunkte geprägt ist. Die Ursache dieser Diskrepanz wird aus der Literatur nicht genügend begründet. Wer bei Münzen die Schönheit von Bauwerken der Romanik und der Gothik sucht, wird enttäuscht und doch spiegelt jeder Zeitabschnitt des Mittelalters seine Zeit auch in ihren Münzen wieder, wenn auch nicht mit jener Pracht der oben genannten Kunstwerke. Eine Ursache für die relativ wenig ansprechenden Münzen dieser Zeit könnte sein, dass im Gegensatz zu den Goldmünzen Roms der Wert des „Pfennigs“ mit seinem geringen Silbergehalt von 1,0-1,2 Gramm zu gering war, um sich damit besonders zu beschäftigen. Mit Aufkommen von Grosso-Münzen und der Thalerwährung (mit mehrfachem Wert eines Pfennigs) wurde auch die äußere Form dieser Münzen wieder etwas „schöner“ – so subjektiv dieser Begriff ist - das im Blogbild gezeigte Bild eines Mönchskopfes ist für mich überaus schön!(1)

 

Wie finster war das Mittelalter tatsächlich?

 

Der Begriff der Finsternis stammt aus der Neuzeit, insbesondere der Renaissance und des Humanismus – im Vergleich zur Antike. Man kann zwar davon ausgehen, dass es im Mittelalter einzelne besonders finstere Geschichtsabschnitte gegeben hat, wie man sie allerdings in jeder beliebigen Epoche (vor und nach dem Mittelalter) findet. Die Zeit des 30-jährigen Krieges (1618-1648) war mindestens so finster, wie die relativ kurze „kaiserlose die schreckliche Zeit“ des Interregnums nach der Absetzung des Stauferkaisers Friedrich des II (1245) bis zur Wahl des Habsburgers Rudolf I (1250), bzw. die Perserkriege im Altertum und die Weltkriege des 20. Jahrhunderts. Ansonsten gab es im Mittelalter längere Zeiträume, die mit Finsternis wenig zu tun hatten. Insbesondere waren das die handwerklichen und künstlerischen Blütezeiten in den ab. ca. 1000 n. Chr. gegründeten Städten, besonders deswegen, weil diese künstlerische und handwerkliche Blüte nicht nur einzelnen Fürsten oder Patrizierfamilien vorbehalten, sondern Ausdruck einer arbeitsteiligen Welt war, die es so in der Antike (Athen oder Rom) zwar bereits gab, jedoch nicht in diesem Ausmaß.

 

Auch die Blütezeiten des alten Burgund, von Brabant, Flandern und auch Tirol waren kein „finsteres Mittelalter, ganz abgesehen von den italienischen Städten wie Florenz, Pisa oder Venedig, die zwar wesentlich früher gegründet wurden als die Städte des „Nordens“, jedoch im Mittelalter des 14. Jahrhundert in einem Maße aufblühten, dass der Ausdruck „finsteres Mittelalter“ wirklich nicht angebracht ist.

 

Was uns heute „finster“ berührt, waren die neugegründeten Klöster wie z.B. das Benediktinerkloster Cluny (910), von denen strenge Ordensregeln ausgingen, die aber das mittelalterliche Leben bei weitem nicht so beherrschten, wie dies heute oft dargestellt und dabei vergessen wird, dass auch von diesen mächtigen Klöstern eine unermessliche Kultur ausströmte. Wer die Kreuzzüge des Mittelalters als Schattenseite dieser Zeit im Visier hat, sollte auch die neuzeitlichen Kolonialkriege der Briten und Franzosen um die Vormachtstellung in Nordamerika, ganz besonders jedoch die Bestrebungen vieler europäischer Großnationen zur “Kolonialisierung” von Ländern in Afrika, Indien und Süd- bzw. Mittelamerika im Auge haben, die letztlich eine moderne Variante der Ausbeutung von Ländern unter anderen “ideologischen” Vorwänden als die der Kreuzzüge bedeuteten.

 

Was das Mittelalter zusätzlich als besonders „finster“ belastet, ist die Hexenverfolgung, die es zwar im Mittelalter gab, jedoch erst fast zu Beginn der Neuzeit (1484) durch eine apostolische Bulle legitimiert wurde und 1487 den Weg zum berüchtigten „Hexenhammer“ frei machte, der die nächsten Jahrhunderte bis weit ins 18. Jahrhundert beherrschte. Der Hexenhammer unserer Zeit sind die Medien: Frau/man landet zwar nicht mehr „am Scheiterhaufen“, kann jedoch existenziell fast so vernichtet werden, dass die Betroffenen, ob schuldig oder unschuldig am Leben „scheitern“.


FACIT: ein finsteres Mittelalter hat es nicht gegeben – zumindest war diese Zeit nicht finsterer als Epochen, die man wahllos herausgegriffen, in der gesamten Menschheitsgeschichte vorfinden könnte.

 

Anm.: Warum interessiert sich ein Naturwissenschaftler für das Mittelalter? In meiner Gymnasialzeit hasste ich das Fach Geschichte wegen der Aneinanderreihung von Kaisern, Päpsten und Fürsten. Später nachdem ich meine aktive studentische Zeit als „Jazzmusiker“ beendet hatte und meine Kinder ins „Blockflötenalter“ kamen, begann ich – sozusagen als Vorbild – es ebenfalls mit diesem Instrument zu versuchen und lernte die Welt der spätmittelalterlichen Musik kennen. Nach 3 Jahren intensiver Beschäftigung mit dieser Musik war ich bereits tief in eine noch einseitige Sicht des Mittelalters eingedrungen. Als ich anschließend zur Querflöte wechselte, hatte ich bereits die ersten mittelalterlichen Münzen – zunächst völlig unwissend – auf Flohmärkten und in der Münzabteilung der Baden-Württembergischen Bank entdeckt, jene kleinen relativ billigen Münzexemplare, die mich zunächst nur wegen ihrer zeitlichen Verbundenheit zur mittelalterlichen Musik, faszinierten. Da ich mich zusätzlich immer auch für ökonomische Entwicklungen interessierte, ferner den Minnesang des Mittelalters (in der Schule noch zähneknirschend) später in gereifterem Zustand neu wieder entdeckte, wandte ich mich allmählich immer mehr dem spannenden Thema des Mittelalters zu – insgesamt also ein völlig „geradliniger und logischer“ Weg. Ich bin nicht sicher, ob ich, falls ich Historik studiert hätte, eine ähnliche Liebe zum Mittelalter entwickelt hätte.

 

 

(5.4.2013, völlig neu redigierte Fassung aus 2011)

 

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(1) Beiträge zu mittelalterlichen Münzen u.a.:

 

Münzen - "Leitfossilien" soziologischer und ökonomischer Entwicklungen

 

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