Kreativ(ität) - depressed

 
Kreativität - depressed - © Alfred Rhomberg

 

 

 

Kurz nach dem Gespräch mit ihrer Freundfeindin „Phantasie“ stellten sich bei der Kreativität Ermüdungserscheinungen oder jedenfalls Symptome ein, die heute so beunruhigend als Burnout-Symptomatik beschrieben werden. Die Kreativität hatte gerade wieder eine Unzahl von Werbespots für cholesterinabweisende (oder heißt es senkende?) Drinks, Biomarmeladen etc. abgeliefert, wobei es ihrer Meinung nach besonders viel „Kreativität“ brauchte, ein ganz normales Stück Butter als ganz normale Butter zu vermarkten, oder den Menschen klar zu machen, dass eine bestimmte Zahnpasta besser sein solle, als eine andere – so etwas geht an die Substanz (sprich Psyche -> -> -> burnout). Im Augenblick zweifelte sie an ihren Fähigkeiten und an den Ratschlägen, die sie ihrer Freundfeindin „Phantasie“ vor wenigen Tagen gegeben hatte.

 

Kreative sind jedoch oft weniger zartbesaitet als man denkt – wenn sie etwas machen/schaffen/kreieren wollen, dann explosionsartig! Die Kreativität griff zum erstbesten Lehrbuch „Psychologie der Kreativität“ und folgte einer der dort zitierten Methoden – derjenigen des „Ur-Schreis" [1] indem sie zu Pinsel und Farbe griff und urschreiartig eine Leinwand (etwas) füllte. Seitdem gibt es in der Kunstgeschichte neben dem „Der Schrei“ von Edvard Munch, auch ein Bild „Der Urschrei“, das von Kennern und Kunstkritikern als Sensation gewertet wird, weil niemand weiß, dass dieses Werk aus einer tiefen Depressionsphase der Kreativität entstand – obwohl(?): oft werden Bilder ja gerade durch solche privaten Details der KünstlerInnen besonders verehrt. Munch war bekanntlich Alkoholiker, Van Gogh wahnsinnig, Picasso (vielleicht) erotoman – allerdings weist die Geschichte auch Gegenbeispiele auf: Albrecht Dürer war aus heutiger Sicht ganz normal (außer dass er „etwas zeichnen“ konnte) und hat es trotzdem zu etwas gebracht.

 

Als der letzte Pinselstrich (genaugenommen war es der erste bzw. nur ein roter Spritzer – eben eine Eruption), die zitternde Leinwand wieder beruhigt hatte, fielen auch die Depressionen der Kreativität auf ein umweltsverträgliches Maß zurück und sie war wieder frei für mindestens zehn cholesterinabweisende (oder heißt es senkende?) Familiendrinks.

 

Sie wusste nun: „selbst zu sein“ ist das Allereinfachste und sie würde nicht zögern, beim Wiederauftreten von Burnoutsymptomen einen zweiten Urschrei (vermutlich Urschrei II) zu malen/kreieren.

 

(16.1.2015)

 

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[1]  "Dem leidenden Neurotiker, der vielleicht glaubt, die Primärtherapie sei zu umwerfend oder zu schwierig, um sie durchzumachen, möchte ich nur sagen, dass die herkulische Aufgabe darin besteht, zu sein, was man nicht ist". Man selbst zu sein ist das Allereinfachste. Arthur Janov (1970). 

 

Arthur Janov: Der Urschrei. Ein neuer Weg der Psychotherapie. Sigmund Fischer-Verlag, November 1982. ISBN 3-10-036701-4 (Das Buch hatte maßgeblichen Einfluss auf den Zeitgeist der 1970er- und 1980er-Jahre).

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