Kunst - der Versuch einer Abgrenzung zur "Unkunst"

 

Schwarze Leinwand I - © Alfred Rhomberg

 

 

Vielleicht gehört die Frage „Was ist Kunst?” zur Kategorie der sinnlosen Fragen, d.h. mögliche Antworten bringen entweder keinen Erkenntnisgewinn oder entziehen sich überhaupt jeder gängigen Logik.

 

Im Lexikon wird der Begriff „Kunst“ als Gesamtheit der Werke menschlicher Produktivität, die nicht an einen bestimmten praktischen Nutzen oder Zweck gebunden ist, definiert. Diese Definition erschwert die Frage nach einer Abgrenzung, denn sie bedeutet imgrunde, dass alles erlaubt ist. Dass der Künstler Grenzen überschreiten darf und sogar überschreiten muss, ist selbstverständlich, denn das Schöpferische liegt ja zum Teil in der Überschreitung von Althergebrachtem. Die absolut weiße oder schwarze Leinwand scheint in der Malerei allerdings eine Grenze zu sein, deren Überschreitung zumindest schwierig überwindbar ist.

Kunst wird im Gegensatz zur Philosophie, weitgehend von Begriffen wie Intuition, Imagination oder Inspiration getragen. Ist Kunst deswegen vielleicht überhaupt nicht rational erfassbar? Über Intuition oder Inspiration gibt es viele Meinungen, obwohl – oder weil – sich Hirnforschung und Psychologie intensiv mit assoziativen Hirnvorgängen und den Ursachen für Kreativität beschäftigen. Ganz ohne rational erklärbare Ursachen laufen solche Prozesse sicherlich nicht ab, daher ist der Versuch eines rationalen Ansatzes zur Kunstkritik zumindest erlaubt.

 

In der Musik gelingt eine rationale Annäherung relativ einfach, sofern man lediglich die Komposition analysiert – die Beurteilung oder Analyse der Interpretation von Kompositionen ist dagegen objektiv nicht möglich.

Das musikalische Kunstwerk besteht (als Komposition) aus einer nachvollziehbaren Verarbeitung von Tonfolgen (Melodie) oder dem Zusamenklang einelner Töne (Harmonie) bzw. dem Zusammenklang der Tonsequenzen aus akustischen Signalen unterschiedlichster Genese. Qualität und Quantität des akustischen Signals, aber auch Rhythmik und Tonpausen sind neben anderen Stilmitteln und formalen Schemata die wesentlichen Mittel, die das Gesamtkunstwerk ausmachen. Diese Stilmittel sind weitgehend notierbar und wären seit Erfindung der akustischen Aufzeichnung im äußersten Fall auch als analoge oder digitalisierte Tonspur archivierbar.

 

Wenn frau/man die abendländische Musik betrachtet – andere Kulturkreise lassen die Nachvollziehbarkeit einer musikalischen Entwicklung wegen mangelnder Notation kaum zu, gibt es eine konsequente, wenn auch nicht lineare Entwicklung von einfachen Strukturen bis zu immer komplexeren Strukturen, also von der gregorianischen Einstimmigkeit über die Mehrstimmigkeit bis zur zeitgenössischen Musik. Dass das klangliche Ergebnis heute komplizierter und vom ungeübten Zuhörer immer weniger nachvollziehbar wird, ist daher verständlich. Auch für den geübten und mit modernen Kompositionstechniken vertrauten Zuhörer wird das Verstehen eines Werkes schwieriger und gerät – zumindest beim Hören – oft an die Grenzen der intellektuellen Aufnahmefähigkeit. Die Aleatorik, d.h. das Komponieren auf der Basis des Zufalles (von lat. alea, der Würfel), ist streng genommen keine logische Weiterentwicklung der Musik, da der intellektuelle Akt des Tonsatzes, bzw. der Komposition (definiert als ein „Zusammenfügen“) hier völlig fehlt. Zwar sind aleatorische Werke als akustische Klangwerke zu betrachten, der Begriff „Kunst“ ist jedoch kaum mehr anwendbar, schon deswegen, weil dem Zufallsprinzip jegliche Kreativität mangelt. Doch auch nicht aleatorische Kompositionen verlieren ihren Sinn, wenn sie wegen ihrer Komplexizität nicht mehr intellektuell erfassbar sind und sich akustisch nicht mehr von einem aleatorischen (zufälligen) Klangprozess unterscheiden lassen – oder sich dem messtechnischen „Rauschen“ angleichen(1).

 

Die logische Weiterentwicklung eines musikalischen Konzeptes findet genau an diesem Punkt ein durch die Unzulänglichkeit des menschlichen Gehirns rational begründetes Ende.

 

Andere Wege der „Musik“

 

Nach den 50-iger Jahren des vergangenen Jahrhunderts entstanden Kompositionsformen, bei denen mit Tönen nicht mehr im Sinne eines durchkomponierten „Gesamtgefüges“ experimentiert wurde. Insbesondere sind Klang-Clusterartige Kompositionen gemeint, bei denen oft nur der „Rahmen“ eines Werkes durch eigens entwickelte Notationstechniken (oft grafikartige Anweisungen) vom Komponisten vorgegeben wurde, das Endergebnis jedoch letztlich unbestimmt war und sich von Aufführung zu Aufführung anders darstellte. Es ist schwierig, hier eine konsequente Weiterentwicklung des Musikbegriffes zu definieren, frau/man kann solche Experimente jedoch nicht generell als „Unkunst“ abtun, weil oft – im Gegensatz zur Aleatorik – kompositorische Vorstellungen des/der KomponistIn vorliegen. Schwieriger sind einige Werke von John Cage oder Iannis Xenakis zur beurteilen, deren Kompositionen herkömmliche Musikvorstellungen sprengen. John Cage veblüffte zunächst mit Kompositionen wie 4.33 (2) und „Happenings“ in den 80-iger Jahren, Iannis Xenakis komponierte unter Einbeziehung nicht musikalischer Ideen (mathematische, geometrische, philosophische Prinzipien). Insbesondere die Einbindung von Stochastik (Wahrscheinlichkeitsrechnung) und Elementen der Mengenlehre führen bei aller Komplexheit zu einer gewissen Reduktion(3) in die Richtung von „Klängen/Geräuschen“.

 

Der Musikbegriff im herkömmlichen Sinn endet schließlich bei den häufiger werdenden Versuchen, mit normalen Musikinstrumenten unter Verwendung beliebiger Hilfsmittel „neue“ Klänge zu erzeugen, die ihr gesamtes Klangbild oft erst während der Aufführung entwickeln. Eine Notierung im herkömmlichen Sinn erübrigt sich daher meist bei solchen Versuchen. Ist das Unkunst, wie dies im Titel so bezeichnet wird? Schwer zu beantworten – Beliebigkeit kann nach Meinung des Autors nicht mit gutem Gewissen als „Kunst“ bezeichnet werden. Es sind Klangexperimente, die auch als solche bezeichnet werden sollten. Oft wäre es bei (wie vermutlich allen Künsten) sinnvoll, solche Experimente – die ja oft Experimente bleiben und als solche vermarktet werden – unter einem anderen Kunstbegriff, als dem der Musik einzuordnen. Nur – wie könnte ein neuer Kunstbegriff lauten? „Kreative Experimente des Augenblicks“? Der Augenblick hat nichts mit dem zu tun, was wir bisher als Kunst bezeichnet haben – Augenblicke sind „augenblicklich“ und führen letztlich zu einer Art „Kunstnihilismus“, der früheren Kunstvorstellungen widerspricht(4).

 

Ein etwas weniger rationaler Aspekt

 

Man kann es sich auch leichter machen und jeden rationalen Aspekt beim Hören von Musik ausschalten. Ich könnte mich beim Hören ganz einfach von meinen Emotionen leiten lassen, die ich im Augenblick empfinde, gleichgültig ob ich komponierte Musik oder zufällige Geräusche höre. Das hat im Grunde dann jedoch nichts mit „Musik“ in dem Sinne zu tun, wie  Musik bisher definiert wurde:

 

„Musik ist eine Kunstgattung, die aus organisierten Schallereignissen  besteht“.

 

Die Reduktion auf den Genuss reiner Emotionen ist dem Autor dieses Beitrages zu wenig – es könnten schließlich Emotionen sein, die beim Betrachten der Deckenfresken des Konzertsaales oder beim Wahrnehmen des Parfums meiner Sitznachbarin entstehen.

 

Anm.: Der Musikbegriff wird für den Autor dieses Beitrags auch dann fragwürdig, wenn Klänge bzw. Geräusche scheinbar „rational“ (weil beabsichtigt) durch cross-over Experimente unter Vermischung aller erdenkbaren Geräusche mit Klang/Musikerlebnissen fremder Kulturen zu einem neuen „Klangbrei“ verarbeitet werden. Selbstverständlich ist das erlaubt, gelegentlich drängt sich jedoch die Frage auf, ob hier nicht durch billige Effekthascherei Aufmerksamkeit erregt werden soll, weil den neuen „Tonkünstlern“ zu wenig einfällt, das als logische Weiterentwicklung von Musik betrachtet werden kann – Weiterentwicklung sollte nicht zu „Fortentwicklung“ degradiert werden (s.a. Musik und Klänge – Sounddesign).

 

Lassen sich Parallelen in anderen Künsten erkennen?

 

In der Literatur dürfte es nicht wesentlich anders sein als in der Musik, das Wort entspricht in gewissem Sinne der Partitur, obwohl die Empfindungen, die das Wort auslöst beim Leser, je nach Vorbildung und Stimmungslage oft sehr unterschiedlich sind. Trotzdem ist die rationale oder emotionale Aussage weitgehend durch Wortwahl und das, was zwischen den Zeilen steht, gewollt und so gesehen nachvollziehbar. In der bildenden Kunst ist die Vielfalt der Ausdrucksmittel erheblich größer, weil neben visuellen Stilmitteln in der zeitgenössischen Kunst z.B. auch akustische Stilmittel verwendet werden. Daher ist die Frage der Sinnhaftigkeit entsprechend schwieriger zu beantworten, weil die Nachvollziehbarkeit des schöpferischen Aktes, insbesondere in der Moderne, oft auf den Aussagen der Künstler (oder deren Kuratoren) beruht und manche Künstler schon gar nicht mehr bereit sind, entsprechende Aussagen zu ihren Werken zu machen. Das wäre im modernen Kunstverständnis auch gar nicht erforderlich, sofern ein Kunstwerk Emotionen beim Betrachter auslöst.

 

Der Sinn eines Kunstwerkes kann also entweder vom Künstler seiner Kunstvorstellung entsprechend vorgegeben sein, oder die scheinbar vollständig sinnlose Lebensäußerung eines Künstlers muss als schöpferischer Akt akzeptiert werden, wenn der Betrachter einen für ihn persönlich geltenden Sinn in einem Kunstwerk sieht. Fehlen diese Voraussetzungen, so gelangt auch die bildende Kunst an eine ähnliche Grenze wie sie beim Beispiel der Musik beschrieben wurde.

 

Ein Werk einer Objektkünstlerin wurde von mir einmal kritisiert, jedoch von einer Freundin der Künstlerin mit den Worten verteidigt, man müsse dafür den Hintergrund kennen. Genau dies ist der Irrtum vieler junger Künstler. Kunstwerke, die nicht für sich selbst sprechen – bzw. keine Emotionen wecken und erklärt werden müssen, entsprächen einem Witz, der entweder geistlos ist oder schlecht erzählt wird, sodass die Pointe nur verstanden werden kann, wenn diese erklärt wird.

 

Eine pragmatische Möglichkeit den „Kunstbegriff“ zu retten, könnte die Hypothese sein, dass Kunst gewissen Spielregeln unterworfen ist, die sich im Laufe der Zeit ändern können und dass wir nur dasjenige als Kunst akzeptieren, das diesen Spielregeln gehorcht. Ist das Erfinden von Spielregeln dann nicht der eigentlich schöpferische Akt?

 

Wir erkennen schnell, dass auch dieser Ansatz in der Kunst nicht weiter führt und werden uns damit abfinden müssen, dass die eingangs gestellte Frage nur von der Aperception, also der bewussten Wahrnehmung eines Menschen abhängt. Kunst wird noch nicht zur „Unkunst“, wenn sie von Experten als solche dargestellt wird. Darin unterscheiden sich Kunst und Wissenschaft:

 

Wer behauptet, dass sich die Erde um den Mond dreht, muss sich entweder von Experten belehren lassen – oder eine neue physikalische Erkenntnis beweisen.

 

(Neufassung 21.8.2014 und Ergänzungen am 2.1.2016))

 

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(1) In der Messtechnik gibt es heute mathematische Verfahren, durch die extrem kleine “Nutzsignale” aus dem statistischen Rauschen herausgefiltert werden können (z.B. durch Fourrieranalyse). Über diese Fähigkeiten verfügt das menschliche Gehirn nicht, auch wenn sich unser Gehirn (in Grenzen) an kompliziertere Musikformen gewöhnen kann. Diese Gewöhnung verschiebt zwar etwas den Punkt, ab welchem Musik gerade noch rational erfasst werden Kann, beliebig lässt sich unser Gehirn aufgrund seiner vorgegebenen Physiologie jedoch nicht an allzu komplexe Strukturen gewöhnen.

 

(2) John Cage (1912-1992) schrieb u.a eine „Komposition“ deren 3 Sätze mit den Worten „Tacet“ (Schweigen) überschrieben ist, was nur durch dreimaliges Auf- und Zuklappen einer Klaviertastatur durch den Pianisten „performed“ wurde. (Uraufführung am 29. August 1952, in Maverick Concert Hall in Woodstock, New York, Pianist David Tudor). Laut Partitur ist die Dauer des Stückes frei wählbar und der Titel soll diesen Wert in Minuten und Sekunden genau angeben. Obwohl der Titel je nach gewählter Dauer variieren kann, hat sich die Bezeichnung 4’33” durchgesetzt, solange dauerte die Uraufführung in Woodstock, NY.

 

(3) Reduktionen“ (wenn auch anderer Art) gab es bereits in früheren Musikepochen: im Barock und früher war es üblich, nicht die gesamte Composition zu notieren – der „Generalbass“ war für Cembalisten, Gambisten oder Bassisten so selbstverständlich, dass er nicht notiert zu werden brauchte. Ebenso war es üblich, Verzierungen an besonderen Stellen der Komposition nicht zu notieren, sondern sie der Kunst der Solisten (Flötisten, Violinisten etc.) zu überlassen.

 

(4) In einem Kunstkreis wagte ich es einmal, Experimente der „ideellen“ Kunst der 60-iger und 70-iger Jahre als nihilistisch zu bezeichnen (insbesondere z.B. Formen der Kunst, z.B. in der Wüste Nordafrikas bildhafte Strukturen mit dem Fuß in den Sand zu malen und sich bewusst zu sein, dass der Wind diese Strukturen umgehend verwischt). Antwort einer Kunststudentin: „ Ja – ich glaube auch, dass unsere Kunst nihilistisch, wie unsere ganze Zeit und nur dem gegenwärtigen Augenblick verhaftet ist, das könnte man aber vermutlich auch von den großen Meistern wie Michelangelo annehmen – sie glaube nicht, dass diese alten Meister über die Zeit jenseits ihres Lebens hinausgedacht hätten“. Meine Antwort war, dass ich da völlig anderer Meinung sei, weil sich gerade diese Meister besonders mit der Technik beschäftigt hatten, ihre Farbpigmente und Farbenzusammensetzungen so lichtecht zu entwickeln, dass sie einige Jahrhunderte überdauern würden (anschließendes Schweigen). Weiteres Schweigen auch zum obengenannten „Sandspurenexperiment“, bei welchem sich diese Art ideeller Kunst schon deshalb ad absurdum führte, weil die gezeichneten Sandstrukturen anschließend sofort fotografiert wurden, bevor sie der Wind verwischte. Gleichermaßen unehrlich fand ich die Happenings der 80er Jahre, die (obwohl als augenblickliches Happening gedacht), sorgfältig mit Videocameras „für die Ewigkeit“ festgehalten wurden. Hier sind rationale (oder pragmatische) Sichtweisen hilfreich, um zwischen Kunst und Scharlatanerie zu unterscheiden, anstatt in kunsthistorisch anerzogene Andacht zu verfallen.

 

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