Warten auf Phänomene

 

 

Roter Regen II - (c) Alfred Rhomberg

 

Ich saß nachdenklich vor einem Blatt weißem Papier und meine Phantasie wartete lange auf Phänomene, bis sich eines davon schließlich doch einstellte, mich herausfordernd anblickte und gleich wieder verschwand. Es ist ja nicht so einfach auf etwas zu warten, das man nicht kennt und dem Attribute wie Wahrnehmung, Erscheinung, Phantasie, Methaphysisches oder Transzendentales zugeordnet werden. Phänomene verweilen nie lange, sie sind plötzlich da und eh man sich ihrer bewusst wird, sind sie wieder dort wo sie hingehören – in der Phänomenologie der Phänomene. Was sollte ich jetzt auf das weiße Blatt Papier schreiben? Ich saß ja hier, um über alles zu berichten, was passierte – insbesondere wollte ich über Phänomene berichten, die sich – zumindest bei dem berühmten Philosophen Immanuel Kant als doch ziemlich schwierig, nämlich als Abstraktion des unkennbaren, unwissbaren Dinges an sich, darstellen.

 

Ich fühlte mich durch meine mir selbst aufgezwungene Aufgabe, Dinge (auch die Dinge an sich) möglichst einfach zu beschreiben herausgefordert, dies auch zu tun. Also spitzte ich den Bleistift und schrieb folgende Zeilen:

 

Eben um genau 17 Uhr 16, sichtete ich ein Phänomen, das ohne lange zu verweilen sofort wieder verschwand. Das war zumindest eine einfache, ehrliche Beschreibung des Geschehenen. Ich fuhr fort: das gesichtete Phänomen stellte sich als einfache Erscheinung (nicht etwa als Trugbild) dar, es war keineswegs so kompliziert, wie von Kant berichtet – eher unscheinbar und daher auch so einfach zu beschreiben, es sah weder wie ein Mysterium aus, noch war es ein UFO (unbekanntes Flugobjekt), oder irgend etwas Esoterisches, wobei ich das letztere dahingehend ergänzen muss, dass Esoterik immer mit einem Problem behaftet und daher schwer beschreibbar ist, weil Esoterik keine allgemein gültige Definition ihres Gegenstandes hat. JedEr darf sich als EsoterikerIn bezeichnen  die/der sich als solche/r fühlt. Ich bemerke, dass ich abschweife und nehme mich jetzt zusammen, die Zeilen des bis jetzt nur mit wenigen Worten gefüllten weißen Blattes Papier folgendermaßen zu ergänzen:

 

Kant hatte vielleicht doch recht, dass es sich bei einem Phänomen um ein „unerkennbares, unwissbares Ding an sich“ handelt - ich füge aber der Ordnung halber hinzu, dass er sich insofern irrte, als auch ein nur mit wenigen Zeilen beschriebenes, weißes Blatt Papier, an einem der wenigen schönen Sommertage dieses Jahres und im Garten vor lauter Nachdenken noch vollem Glas Rotwein sitzend, dieses jetzt langsam und genüsslich austrinkend, die herrlichen Farben der Sommerblumen vor Augen und die Vorstellung genießend, hoffend, dass es eigentlich noch mehrere solcher Tage geben möge, durchaus als Phänomen gewertet werden könne. Leider muss auch das plötzlich aufziehende Gewitter, welches in Sekundenschnelle mit riesigen Hagelkörnern das wunderbare Phänomen des Sommers beeinträchtigte, gleichfalls zu den Phänomenen gezählt werden, wie auch die Unannehmlichkeit, dass Hagelkörner – und nicht einmal als Inhaltsstoff deklariert, nichts in einem guten Glas Rotwein zu suchen haben.

 

(21.06.2010)

 

 

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