Die blaue Sonne
Eines Tages wachten die Menschen auf, rieben sich die Augen – es nützte nichts – die Sonne stand blau am azurblauen Himmel.
Die Psychologen waren ratlos. Sinnestäuschungen? Ja – aber kollektive Sinnestäuschungen? Die Phänomenologen meinten, es gäbe zwar blaue Phänomene, sie seien jedoch nur wenig phänomenologisch beschrieben. Die Physiker und Mathematiker fanden nach einigen Tagen eine zur Erklärung des Phänomens geeignete komplizierte Formel, allerdings doch nicht geeignet genug, um es zu verstehen – der Beweis müsse zudem erst durch weitere Rechnungen erbracht werden. Die Kosmologen gehen unbekannte Dinge oft statistisch an und kamen zu dem Schluss, dass so etwas nur alle 14 Milliarden Jahren möglich sei, da das Universum jedoch erst seit 13,7 Milliarden Jahren bestünde, müsse noch etwas gewartet werden.
Eine bayrische Phantasie dachte sich „leckt’s mi alle miteinander“, während ihre norddeutsche Kollegin diskret, aber wortgewaltig höflich meinte:
„Nachdem das Phänomen der blauen Sonne nun einmal gegeben sei, müsse frau/man notgedrungen umdenken und blaue Sonnenblumen züchten“
In ganz verzweifelten Fällen wird die Religion oder die Philosophie zu Rate gezogen, wobei die Religion in diesem Punkt unzuständig ist, da in der Schöpfungsgeschichte keine näheren Hinweise zur Farbe der Sonne existieren. Bleibt also die Philosophie:
Der weise Philosoph Diogenes (400-323/324 v, Chr,), von dem der Spruch stammen soll: „Geht mir aus der Sonne“ zündete überlieferter Weise bei Tage stets ein Licht an und sagte: "Ich suche einen Menschen!“. Als Gründer der kynischen Schule hätte er vermutlich ähnlich wie die bayrische Phantasie gedacht:
„Leckt’s mi alle miteinander – ob blau oder grün – Hauptsache, ihr geht mir aus der Sonne“.
Diogenes gilt bekanntlich als Verächter alles Überflüssigen und wirkte eher durch den praktischen Vollzug, als durch Theorien. Im vorliegenden Fall hätte er sich vermutlich von der bayrischen Phantasie, zumindest in der Wortwahl, distanziert – doch auch die Bayern meinen nicht alles so deftig ernst, wie es klingt.
Nachdem es keine sinnvollen Erklärungen für das Phänomen der blauen Sonne gab, muss seitdem vieles umgeschrieben werden – nicht zuletzt das Lied: „Wenn in Capri die rote Sonne im Meer versinkt…“
(4.4.2012)