Der freie Tag

 


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Die Phantasie hatte ihren freien Tag – einmal in 500 Millionen Jahren der Menschheitsgeschichte darf sich jedEr eine – wenn auch nur kurze Auszeit, gönnen. An diesem Tag durchstreifte sie die Jahrtausende und wollte – sozusagen autobiographisch – auf das bisher von ihr Geleistete zurückblicken.

 

Vielleicht hatte sie sich einen falschen Tag oder ein falsches Jahrhundert – vielleicht sogar ein falsches Jahrtausend ausgesucht, denn sie musste beim Betrachten ihrer Werke (dafür hatte sie an ihren Arbeitstagen ja nie Zeit) feststellen, dass sie schon bessere Ideen gehabt hatte. Einzig die Tatsache, dass ihr in den ersten Hunderten von Millionen Jahren nicht viel eingefallen war, tröstete sie etwas – Kinderkrankheiten!

 

Erste wirkliche Erfolgserlebnisse fand sie so etwa um 3000 v. Chr. (oder vielleicht auch etwas früher) mit ihrer Erfindung der Schrift. Gut – Keilschriften oder Hieroglyphen und noch dazu auf Stein- oder Tontafeln waren noch nicht der große Wurf und bei der Erfindung der chinesischen Schrift hatte sie sich ganz einfach geirrt – aber mit dem arabischen und lateinischen Alphabet hatte sie einen großen Coup gelandet. Die Menschen konnten jetzt aufschreiben, was sie bewegte und das waren nicht nur Todesurteile, Kriegserklärungen und politische Absichtserklärungen, sondern auch Dramen und Gedichte, die sie so liebte. Sie erfand auch allerhand nutzloses Zeug wie das Schießpulver und Kanonen aber eben auch den Minnesang, hübsche Kleider und hauchte vor allem vielen Künstlern schöne Ideen ein, wobei sie auf das Mittelalter und die Renaissance besonders stolz war. Ach ja – das Rad hatte sie auch irgendwann einmal erfunden – leider wusste sie nicht mehr genau wann, sie würde ein Tagebuch führen müssen! Und was ihr im Barock alles eingefallen war – die Sammlungen der Barockfürsten quollen über mit ihren ausgefallenen Ideen! Nach den Misserfolgen im Altertum oder im Dreißigjährigen Krieg beschloss die Phantasie, gewisse Dinge aus ihrer Biographie zu streichen – moderne Filmdivas lassen ja auch in ihren Biographien das aus, was ein ungünstiges Licht auf sie werfen könnte. Also keine Guillotinen, keine Sklaverei, keine Hexenverbrennung und kein Drittes Reich! Einzig die Jugendstilepoche zwischen den beiden letzten Extremen machte sie stolz – so schöne Damenkleider, Möbel und Designgegenstände hatte sie schon lange nicht mehr entworfen. Dann schien es mit ihr bergab zu gehen – Coca Cola, Andy Warhol und Elvis Presley?

 

Dazwischen gab es jedoch auch handfesteres – sie würde wirklich ein Tagebuch führen müssen – morgen wollte sie damit beginnen und außerdem Zigarettenschachteln so einheitlich gestalten, dass frau/man kein Firmenlogo mehr darauf erkennen könnte, in schlichtem weiß oder schwarz (natürlich mit überdimensionalen Totenköpfen darauf) – das Patent dafür hatte sie bei der Europäischen Union schon eingereicht und wird derzeit diskutiert. Der nächste Schritt wäre dann, auch die Zigaretten innerhalb der Schachtel wegzulassen – aber das wollte sie sich für später aufheben. Sie durfte es sich mit den Menschen nicht ganz verderben, vielleicht könnte sie ja vorher damit beginnen, künstliche Lungen zu entwickeln, das Entwerfen solcher Organe schien ihr vorerst einfacher zu sein, als das Weglassen von Zigaretten aus Zigarettenschachteln – Österreich schien ihr in dieser Hinsicht ein besonders schwieriges Land zu sein: 10.000 Tote durch Lungenkrebs (Jahr für Jahr) und weltweit(?) – das zu eruieren, dazu reichte selbst der Phantasie ihre Phantasie nicht aus.


Mit dem Entwurf von Grabsteinen für die Zigarettentoten und anderen zeitgenössischen Kleinigkeiten, wie der fast monatliche Designwechsel von Kosmetikaprodukten, würde sie sich schon einige Zeit über Wasser halten.

 

(Vers. 25.1.2014)

 

 

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