Fluchtwege

 

 

Fluchtwege - (c) Alfred Rhomberg

 

Fluchtwege sind manchmal nur praktisch, oft aber lebensrettend. Deswegen hat das Ministerium für Fluchtwegangelegenheiten eine längst fällige neue Fluchtwegverordnung unterschrieben, die in ihrer breiten Auslegung ein gelungenes Beispiel dafür ist, wie man FluchtwilligInnen bestmöglich helfen kann.

 

Neu ist, dass außer öffentlichen Räumen, auch Privaträume einbezogen sind, sowie geistige Räume wie politische Parteien, Ideologien und Kriege. Selbstverständlich gilt die Verordnung auch für eheliche und eheähnliche Gemeinschaften/Nichtgemeinschaften. Es müssen daher jetzt überall Fluchtwege eingebaut werden – in Wüstenlandschaften ebenso wie in Glaubensgemeinschaften und politische Parteien. Man muss gefahrlos ihr/sein Parteibuch abliefern können, ohne seinen/ihren Job zu verlieren, ebenso muss man eine Wüste bestmöglich verlassen können, wenn man von einem/einer Löwen/Löwin bedroht wird.

 

Von den InitiatorInnen der Verordnung wird eingeräumt, dass gerade Fälle wie die Flucht aus einer Wüste noch nicht befriedigend gelöst sind, auch gilt es, ein paar Lächerlichkeiten von der Verordnung auszuklammern, wie z.B. allzu detaillierte Fluchtwegzeichnungen innerhalb einer Einzimmer-Garçoniere – die Anbringung außerhalb der Kleinwohnung bzw. die Anbringung eines kleines Warnschildes am Fenster „dies ist kein Fluchtweg“ sollte genügen (wenn sich die Garçoniere im oberen Teil eines Hochhauses befindet). Hier müssten genaue Angaben der Stockwerkanzahl ausgearbeitet werden, ab welcher diese Ausnahmeerlaubnis gilt – schließlich handelt es bei Warnungen nach der Art „Dies ist kein Fluchtweg“ um ein grundsätzliches Problem, weil die InitiatorInnen ja die neue Verordnung bewusst als „Fluchtwegverordnung“ und nicht als „Nichtfluchtwegverordnung“ konzipiert hatten.

 

Schwierig ist auch die Haltung christlicher Kirchen einzuschätzen, die mit dem im Islam fluchtfreundlichen Fluchtweg des Mannes aus der Ehe, voraussichtlich nicht einverstanden sind. Bekanntlich kann eine Ehe im Islam durch eine dreimalige Willenserklärung des Mannes, von der die Frau gegebenenfalls gar nicht wissen muss (Brief genügt), also z.B. durch den klassischerweise geäußerten Ausspruch „talaq, talaq, talaq“ getrennt werden. Selbst wenn dies ins Deutsche übersetzt würde, werden christliche und andere Glaubensgemeinschaften damit derzeit nicht einverstanden sein (zugegeben – auch der Koran sieht weitere Bedingungen für eine Trennung vor). Neuerdings vertreten einige islamische Rechtsgelehrte die Ansicht, dass Scheidungsaussprüche auch per SMS gültig seien. Dies wird deshalb in den Golfstaaten auch immer populärer. In diesen aufgeschlossenen Islamstaaten wird diese Form der Ehescheidung anscheinend bereits praktiziert.

 

Selbstverständlich ist die Fluchtwegverordnung auch zum Ausstieg aus Ideologien und philosophischen Systemen konzipiert. Aus dem Kommunismus zu fliehen bedeutet jetzt nicht mehr die automatische Einweisung in ein Konzentrationslager und wer dem Existenzialismus entfliehen will, kann sich jetzt mühelos dem Nichtexistenzialismus zuwenden.

 

Schließlich gibt es – auch wenn es sich dabei um unbedeutende Kleinigkeiten handelt – Fälle, die besser präzisiert werden müssten: So gibt es in größeren Hotels zwei oder mehrere unterschiedliche Fluchtwege in unterschiedliche Richtungen. Hier gilt es genau festzulegen, in welchem Abstand die Fluchtweghinweise/Schilder angebracht werden müssen, damit nicht der Fall eintritt, dass von rechts kommende FluchtwilligInnen mit von links kommenden FluchtwilligInnen aufeinander prallen (Kollisionverhinderungsgebot). Auch wenn die Fluchtschilder zu nahe beieinander angeordnet sind (wie in der Bloggrafik zu diesem Beitrag), kann es zu einer psychologisch schwer zu bewältigenden Entscheidungsproblematik kommen – dies könnte u.U. zu einem lebenswichtigen Verlust von einigen Sekunden führen.

 

Alles in allem ist die neue Fluchtwegverordnung jedoch ein Schritt "in die richtige Richtung" (wie sich PolitikerInnen auszudrücken pflegen).

 

 

(2012)

 

 

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