Innovation – Anfang und Ende?
Seitdem es Menschen gibt, gibt es auch „Innovationen“ – nur war der Weg, angefangen von Werkzeugen wie dem Messer, den ersten Waffen oder Baumaschinen zur Errichtung von Kathedralen etc. bis zur heutigen Micro-Sensortechnik weit, und verlief viele Jahrtausende lang nicht so schnell wie im 20 Jahrhundert und zu Beginn des 21.Jahrhunderts. Nachdem der „Innovationsdruck“ der großen Konzerne - zum Teil auch durch die Politik - heute offenbar das Überleben ermöglicht, ist die Zeit verloren gegangen, die Früchte bestimmter Innovationen zu ernten und in Kulturleistungen umzusetzen, die früher u.a. zu Kulturepochen wie der Romanik, der Gotik oder der Renaissance mit ihrer Fülle an Bauwerken, Bildern, Musik oder Literatur führte. Allein die Begriffe wie „Moderne“, „Postmoderne“ (was kommt danach?), wechseln so schnell, dass sich m.E. gar keine ernstzunehmenden Kulturepochen entwickeln können – es fehlt ganz einfach die Zeit, „Spreu vom Weizen“ zu trennen bzw. dasjenige, was man auch als kontemplative Verarbeitung bezeichnen könnte. Kontemplation lässt sich bekanntlich auch als intuitive Alternative oder weiterführendes Bemühen zu diskursiver Erkenntnis interpretieren, ein Bemühen das heute weitgehend abhandengekommen ist.
Als der Autor dieses Beitrags und Betreiber der „Igler Reflexe“ 1985 mit dem Computer zunächst beruflich, später auch als Hobby Computerfan begann, die faszinierenden Möglichkeiten des neuen Mediums auszuloten, ahnte er nicht entfernt, was Kleincomputer wie das Smartphone nur zwei Jahrzehnte später kulturell anrichten würden.
Wie hat sich unsere Welt durch das Smartphone verändert?
• Die Hersteller aus Silicon Valley, Südkorea etc. sind aus Konkurrenzgründen gezwungen, ihre Produkte ständig zu verbessern, obwohl solche Verbesserungen zum Großteil nicht mehr erforderlich wären: die weltweite Kommunikation mit diesen Kleincomputern ist inzwischen gegeben und technische Details, wie z.B. die Qualität der Camera, die Klangqualität der Musikwiedergabe und viele sonstige Annehmlichkeiten (z.B. die perfekte Kommunikation mit Tablets, Laptops oder Desktop-Computern) lassen kaum noch etwas zu wünschen übrig.
• Das Smartphon hat dazu beigetragen, dass über Social Networks und Youtube eine weltweite kulturelle „Crossover-Mentalität“ entstanden ist, die im Gegensatz zum Wunsch, sich durch seine „Individualität“ von anderen abzugrenzen, das Gegenteil bewirkt. Während früher der Reiz an fremden Kulturen darin lag, sich mit den Unterschieden zur eigenen Kultur zu beschäftigen und auch Anregungen für eigenes kreatives Schaffen zu erhalten, prasselt heute ein Mischmasch kultureller Elemente durch alle Medien auf uns herein, das eher langweilig als anregend wirkt und zudem die eigene Sensibilität zur Erkennung von Feinheiten reduziert. Selbst derjenige der in Länder mit anderen Kulturformen reist, wird feststellen, dass diese seit etwa zwei Jahrzehnten oft einem starken Veränderungsprozess unterliegen. Daran sind ganz besonders auch die Reiseveranstalter mitverantwortlich, die auf Kundenwünsche natürlich eingehen und das bieten, was ihre Kunden sehen wollen: künstlich vorgetäuschtes Brauchtum!
Am stärksten wirkt sich der Crossover-Prozess in der Mode, den Konsumgewohnheiten und besonders auf die Künste aus. Was heute auf internationalen Kunstausstellungen für Furore sorgt, hat kaum Ewigkeitswert, es sind oft krampfhafte Versuche, Missstände unserer Zeit „kritisch“ zu hinterfragen oder irgendwelche unausgegorenen Zukunftsvisionen zu präsentieren. Zukunftsvisionen hatten zwar auch Hieronymus Bosch im 15. Jahrhundert oder einige Künstler der Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts, vieles davon hat jedoch so hohe Qualität, dass die Beständigkeit dieser Werke gesichert erscheint. Oft behaupten moderne KünstlerInnen auch, dass sie gar nicht an einem Ewigkeitswert ihrer Arbeiten interessiert wären – das ist dann entweder Heuchelei oder Nihilismus.
Anm.: Eine Kunststudentin sagte dem Autor einmal, auch Leonardo da Vinci habe nicht für die Ewigkeit gearbeitet - meine Frage, warum alte Künstler dann so viel Wert auf die Beständigkeit ihrer Farben gelegt haben und daher ihre Rezepte nicht verrieten, hinterließ Ratlosigkeit...
Schlimmer wirkt sich das moderne Crossover in der Musik aus. Einerseits werden immer mehr junge MusikerInnen ausgebildet, die ihre Instrumente technisch hervorragend beherrschen, andererseits ist der Musikmarkt für junge Künstler relativ klein, sodass diese oft zu abenteuerlichen Experimenten greifen und damit bei einem musikalisch unwissenden Publikum Erfolg haben (einem Mix fremder Rhythmen und Kombinationen abendländischer Musik aus allen Epochen mit modernen oft popartigen Elementen). Nur selten gelingt es einzelnen KünstlerInnen oder Gruppen, einen eigenständigen Stil durch die Mischung solcher unterschiedlichen Stilelemente zu entwickeln.
Anm.: In der Musik hat es immer „Crossover“ mit anderen Kulturformen gegeben, nur trafen solche Einflüsse meist auf „kundige“ Komponisten (u.a. J. S. Bach, Beethoven, Schubert, Mozart oder Haydn aber auch Komponisten der „Alten Musik“ profitierten oft von fremden Einflüssen – vom guten Jazz ganz zu schweigen)
Die Sensibilität um z.B. unterschiedliche Interpretationen von Klavierwerken durch Friedrich Gulda, Alfred Brendel oder gar Glenn Gould zu erkennen, geht zunehmend verloren.
In der Literatur war die Nobelpreis-Ernennung von Bob Dylan (2016) eine unverständliche Fehlentscheidung, welche die Arbeiten früherer, aber auch zeitgenössischer qualitativ höherwertiger PreisträgerInnen entwertet. Ohne die Medien hätte es Bob Dylan nie zu einem Bekanntheitsgrad gebracht, der ihn zum Nobelpreisträger machte.
Es ließen sich unendlich viele Beispiele dafür aufzählen, wie das Internet unsere Zukunft negativ beeinflusst, leider ist der Begriff „Innovation“ heute wesentlich mit IT-Entwicklungen verbunden, wobei es sich meist nur um Verbesserungen von etwas bereits Vorhandenem oder unnotwendigen
Spielereien handelt, die einzig dazu dienen, den Konsummarkt anzukurbeln.
Auch Elektroautos und selbstfahrende Autos, sowie Roboter sind keine echten Innovationen mehr, sondern letztlich Verbesserungen bereits vorhandener Erfindungen.
Resumée
Es lässt sich nie voraussagen, ob es nicht schon in kurzer Zeit zu neuen bahnbrechenden Entdeckungen bzw. Erfindungen kommt – wer konnte damals schon die Entdeckung der Röntgenstrahlen oder der Radioaktivität oder später die Lasertechnik voraussagen? Die Gefahr besteht heute darin, dass sich fast nur noch eine Fokussierung auf die Verbesserung bereits vorhandener Produkte in der industriellen und zunehmend auch in der universitären Forschung finanziell lohnt.
Die Zeit für Forschungsspielwiesen und kontemplatives Nachdenken ist vorbei und so scheint es, dass sich ein vorläufiges Ende echter Innovationen anbahnt.
(18.5.2017)