Die Anfertigung von Zwischenräumen – ein Unternehmer erzählt

 

 

Zwischenräume - (c) Alfred Rhomberg

 

Zwei Zeilen aus dem Gedicht: „Der Lattenzaun“ (Christian Morgenstern) hatten mich von jeher fasziniert:

 

„…und nahm den Zwischenraum heraus
und baute draus ein großes Haus“. . .
(siehe unten)

 

Menschen unterscheiden sich u.a. darin, wie unterschiedlich sie relativ einfache Gedichte im Gehirn zu verschiedenartigen Ideen verarbeiten.

 

Die einen konzentrieren sich auf das was sich außerhalb von Zwischenräumen befindet – typisches Behördendenken! Andere, wie der Architekt, der den Zwischenraum aus einem Gartenzaun herausnahm und daraus ein großes Haus baute, sind mir da schon wesensverwandter. Und doch gibt es noch einen dritten Ansatz, der mir meinen persönlichen Erfolg bescherte – ich gründete ein Unternehmen, das auf die Herstellung von Zwischenräumen spezialisiert ist.

 

Es war mir dabei von Anfang klar, dass ich klein anfangen musste. Für die Produktion von Zwischenräumen gibt es keine Vorbilder – ich musste also Pionierarbeit leisten. Zudem fehlte mir anfänglich das nötige Kapital um die zur Herstellung von Zwischenräumen erforderlichen Maschinen zu entwickeln, die es naturgemäß in einer völlig neuen Branche nicht zu kaufen gibt. Die ersten Zwischenräume fertigte ich daher noch mit der Hand an. Solche handgefertigten Prototypen werden heute von Liebhabern, nachdem die Produktion voll maschinell läuft, bereits zu Phantasiepreisen gekauft, es sind sogar schon Produktfälschungen auf dem Markt.

 

Wenn ich vorhin von maschineller Fertigung sprach, so darf frau/man sich das nicht so einfach vorstellen, wie es klingt – genormte Zwischenräume – ich nenne sie „Lattenzauntypen“, bereiten selbstverständlich keine Probleme, die Probleme fangen immer erst mit den sogenannten Sonderanfertigungen an, welche eine aufwändige computergesteuerte Veränderung wesentlicher Maschinenbauteile erfordern und die heute zum wichtigsten Geschäftsfeld meiner Firma geworden sind.

 

Die Nachfrage nach Zwischenräumen ist groß: Moderne Bebauungspläne und die damit verbundene verdichtete Bauweise führen zu äußerst raffinierten Ideen der Baugesellschaften, die früher zu meinen größten Gegnern gehören - jetzt bringen sie mir viele Aufträge ein. Immer häufiger wenden sich junge Familien daher an mich, um wenigstens das Maximum an Zwischenräumen zwischen Bauvorhaben so zu entwickeln, dass noch eine Spur von Individualsphäre erhalten bleibt. Unsere Firma musste aus diesem Grunde Fachjuristen einstellen, ohne die es heute nicht mehr geht. Ein anderes Beispiel sind Zwischenräume der modernen Prestigearchitektur von Banken und Versicherungen. Die Architekten entwerfen räumlich immer kompliziertere Gebäude, die entweder ausladend, schief oder in sich gedrillt sind. Besonders die Herstellung gedrillter Zwischenräume ist immer wieder eine spannende Herausforderung.

 

Ja – und schließlich hat jeder seine ganz persönlichen Herausforderungen, die vermutlich nie verwirklicht werden können – aber träumen darf man ja davon – ohne Träume wäre das Leben wohl ein Irrtum, wie es Nietzsche so genial hinsichtlich des Fehlens von Musik ausdrückte.

 

Meine größte Herausforderung wäre die Herstellung eines Zwischenraumes bei einem Objekt, das nur einmal auf der Welt existiert, wie z.B. der Eiffelturm – einen Zwischenraum zwischen zwei Eiffeltürmen zu konzipieren wäre unsinnig (weil es davon eben nur einen einzigen gibt, sodass derartige Problemstellungen zu absurd wären). Doch bei einem einzigen Eiffelturm gäbe es theoretisch durchaus eine Möglichkeit, die jedoch – zumindest vorläufig – den Kapazitätsumfang meiner Firma übersteigt: ich müsste einen derart großen Zwischenraum herstellen, der vom Eiffelturm ausgehend, weltumspannend wieder zum Eiffelturm zurückführte – eine Lösung, die nur eines einzigen Eiffelturms bedarf, jedoch ein Vorhaben, das für meine Firma derzeit aber wohl noch eine Nummer zu groß ist!

Ansonsten möchte ich mich nicht beklagen – mit Zwischenräumen lässt es sich vorläufig noch recht gut leben – solange die geistigen Zwischenräume nicht überhand nehmen.

 

Manche Zwischenraumeprojekte gehören zu den für mich eher unsympathischen Aufträgen, die sehr viel geistigen input meinerseits erfordern und von denen dann die Auftragsgeber oft enttäuscht sind, weil sie glauben, durch eine einfache Geldzahlung zu Genies zu werden.

 

P.S. Gerade ist wieder ein Auftrag an mich herangetragen worden, Lücken in den „Igler Reflexen“ sinnvoll zu schließen – ein Auftrag, den ich vermutlich ablehnen werde, weil diese Lücken – nennen wir sie ruhig Zwischenräume – es nicht wert waren, geschlossen zu werden.

 

(2014)


Zur Erinnerung:

 

Lattenzaun
(Christian Morgenstern)

 

Es war einmal ein Lattenzaun,
mit Zwischenraum, hindurchzuschaun.
Ein Architekt, der dieses sah,
stand eines Abends plötzlich da –
und nahm den Zwischenraum heraus
und baute draus ein großes Haus.
Der Zaun indessen stand ganz dumm,
mit Latten ohne was herum,
Ein Anblick gräßlich und gemein.
Drum zog ihn der Senat auch ein.
Der Architekt jedoch entfloh
nach Afri- od- Ameriko.
                  

 

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