On the Road and on Rail - 3 Generationen seit 1957 - Erinnerungen
· I saw the best minds of my generation destroyed by madness, starving hysterical naked, dragging themselves through the
Negro streets at dawn looking for an angry fix. (aus „Howl“ – Allen Ginsberg, 1926-1997)
(Ich sah die besten Köpfe meiner Generation zerstört vom Wahnsinn, ausgemergelt hysterisch nackt, wie sie sich im Morgengrauen durch die Negerviertel schleppten auf der Suche nach einer wütenden
Spritze)
Wie hat sich die Welt zwischen 1957, als Jack Kerouac seinen Schlüsselroman der Beatniks „Unterwegs“ (On the Road) veröffentlichte bis heute verändert! Ich hatte den Roman erst 1978 gelesen, als ich die verkrampften Jugendlichen der 68-iger Jahre in Deutschland verstehen wollte, die inzwischen ihr Studium oder ihre Ausbildung mehr schlecht als recht beendet hatten und in die deutschen Firmen drängten. Wir – also auch der Autor des Beitrags und damals Anfangvierziger, mussten mit dieser Jugend zurechtkommen. Zwar waren wir durch Seminare dialektisch im Umgang mit Jugendlichen geschult, verstehen konnten wir die 68-iger Jugend trotzdem nicht – es war nicht die Jugend, die Kerouac in seinem Roman beschrieb und schon gar nicht jene Jugend, die zur Zeit der Entstehung des Romans in Europa in meinem Umfeld vorherrschte.
1957 studierte ich bereits im 5. Semester Chemie in Innsbruck, war Bandleader einer kleinen Jazz- und Tanzmusikgruppe – wenn wir wirklich guten Jazz hören wollten, gab es zu dieser Zeit keinen Mangel. In Österreich gab es den berühmten Wiener Klarinettisten „Fatty George“ (Franz Georg Pressler), der in Innsbruck das erste „Jazz-Casino“ gründete (später in Wien), Joe Zavinul und im nahegelegenen München konnte man in jedem Schwabinger Lokal erstklassigen Jazz hören. Solche Ausflüge verbanden wir u.a. auch mit dem Besuch von Vorlesungen des faszinierenden katholischen Priesters und Religionsphilosophen Romano Guardini an der Maximilian-Universität-München und kamen mit zwei Weltbildern nach Hause, die, auch wenn sie nichts miteinander gemeinsam hatten, sich trotzdem nicht störten. Österreich hatte seit 2 Jahren einen Staatsvertrag, war neutral und auch Deutschland fühlte sich (ohne Staatsvertrag) durch die USA im kalten Krieg beschützt. Wirtschaftlich ging es beiden Ländern noch relativ schlecht – es gab keine Drogenprobleme, dafür Nachholbedarf in allen Naturwissenschaften und im Jazz - wir merkten noch deutlich, dass wir so viele Jahre von den theoretischen Erkenntnissen der US-Universitäten abgeschnitten waren.
In den USA war die Situation völlig anders. Die USA hatten den zweiten Weltkrieg noch in Erinnerung, mehr jedoch den Koreakrieg (1950-1953), von dessen unglücklichem Ausgang die Generation von Jack Kerouak und Allen Ginsberg stark geprägt war, ebenso wie vom kalten Krieg – denn die USA waren es ja, die notfalls wieder hätten einspringen müssen, wenn der "Kalte Krieg" wieder zu einem "echten Krieg" aufgeflammt wäre. Die Reaktion auf all das war die Beatnik-Generation, die in der freien Improvisation im Jazz (Hipster, einer etwas härteren Form des Mainstreamjazz), in der freien Liebe und im exzessiven Drogenkonsum eine Ausflucht suchte, mit Ideen die kaum intellektuell untermauert waren. Die zur gleichen Zeit dominierenden studentischen Strömungen in Europa waren zunächst nur durch den französischen Existenzialismus eines Jean-Paul Sartre, Martin Heidegger und Adorno angesteckt – bis dann die 68-er Revolution hereinbrach, an deren Folgen wir hinsichtlich unserer Bildungssysteme noch heute leiden.
Von der 68-iger-Bewegung soll an dieser Stelle nicht viel berichtet werden, ich hatte in anderen Beiträgen "Der Fall Benno Ohnesorg – persönliche Erinnerungen" bereits ausführlicher berichtet, es soll nur erwähnt werden, dass diese Jugendbewegung keinen rechten Sinn machte. Töchter und Söhne begüterter Eltern protestierten gegen ihre Elterngeneration als „Establishment". Der ideologische Unterbau war mager, vor allem irrte sich diese Generation in der Annahme, dass es sozialdemokratischen ArbeiterInnen und Angestellten schlecht ginge. Diese Bevölkerungsschicht hatte zum ersten Mal einen kleinen VW und ein eigenes Häuschen und verstand nicht, warum sie sich mit der Studentenschaft „solidarisieren“ sollte – im Gegenteil, diese Schicht schimpfte über den gestörten Uni-Betrieb, weil es ja schließlich ihre Steuern waren, die das Studium an Universitäten möglich machten. Der geistige Unterbau der 68-iger Bewegung war außer der Zerschlagung von in Deutschland besonders ausgeprägten autoritären Strukturen in Schulen, Universitäten und Betrieben, wie bereits erwähnt, dürftig. Musikalisch war für die Bewegung das Woodstock-Festival 1969 wesentlich wichtiger als das 1954 gegründete, jedoch musikalisch anspruchsvollere Newport Jazzfestival. An den Schulen und Universitäten begann ein inflationärer Trend, der noch heute Spuren hinterlassen hat.
Am wenigsten konnten sich die GymnasiallehrerInnen gegen die neue Jugend wehren. Ein befreundeter Oberstudienrat eines humanistischen Gymnasiums sagte einmal zu mir: „Wenn ich einen für das Lehramt besonders ungeeigneten Referendar zugewiesen bekomme, muss ich aufpassen – er könnte schon in kurzer Zeit mein Vorgesetzter in der Landesschulbehörde sein“. In jedem deutschen Bundesland wurde an der Schullandschaft herum experimentiert – mit teils katastrophalen Folgen. In den Betrieben war es etwas einfacher, mit den Auswüchsen der 68-iger Generation fertig zu werden. Die Lehrlinge (Auszubildende) und StudentInnen in der Industrie wurden von der erwähnten Schicht sozialistischer FacharbeiterInnen recht schnell davon überzeugt, dass Leistung und davon abhängige Gehälter wichtiger sind, als unendlich lange Diskussionen in die Leere laufender, unausgegorener Ideen.
Und dann begann der „Marsch durch die Institutionen“, der nicht selten nach dem Vorbild eines Joschka Fischer oder Gerhard Schröder in das linke Establishment führte, in dem bald das Wort "links" irgendwann vergessen wurde. Andere haben durch diesen „Marsch“ zumindest einen Mäßigungsprozess erfahren und vertreten heute als SpitzenfunktionärInnen demokratische und wählbare Grünparteien.
Und heute?
Unsere StudentInnen wachsen in einer vom Staat, ihren Eltern und der Gesellschaft relativ behüteten Atmosphäre auf. Ein Großteil von ihnen sind fleißig – man möchte ohne Studiengebühren möglichst bald ein halbwegs gut bezahltes und nützliches Mitglied der Gesellschaft werden. Zum „Stress“ sollte das Studium jedoch nicht ausarten. Der Begriff „Eustress“, also jene positive Variante des Stressbegriffes, der aus Begeisterung für das Studium oder den Beruf zu Höchstleistungen anspornt, die nicht gesundheitsschädlich sind, ist der modernen Hochschuljugend eher unbekannt. Das mag auch an den Studienbedingungen der Massenuniversitäten liegen, die einen „Eustress“ wohl kaum aufkommen lassen. Die Studienbedingungen meiner Zeit waren zwar in vieler Hinsicht schlechter, der wissenschaftliche Erziehungseffekt jedoch erheblich besser als heute und das positive „Aufwärts“, das man in den Jahren nach 1950 überall spürte (obwohl es noch kein Wirtschaftswunder gab) war mitreißend. Viele arbeiteten z.B. in den chemischen Laboratorien bis 11 Uhr nachts und bereiteten sich dann anschließend – nach einem kurzen Treff in einem Stammlokal – zuhause weitere Stunden für die nächsten Prüfungen vor. Wir empfanden das nicht als „Stress“, umsomehr, als wir wussten, dass „postdocs“ bei dem genialen Chemiker Robert B. Woodward (1917-1979) in Cambridge/Boston grundsätzlich erst ca. 10:30 nachts im Labor besucht wurden und dass anschließend nächtliche Diskussionen im Hörsaal bis 3 Uhr nachts über sterisch (räumlich) schwierige Naturstoffmoleküle selbstverständliche Pflicht waren. Woodward war genial, Alkoholiker und Nobelpreisträger zugleich – man muss jedoch nicht so genial, Alkoholiker und auch kein Nobelpreisträger sein, um hohe Leistungen zu erbringen - etwas mehr Leistungsbereitschaft hätte ich in der Industrie von den jungen KollegenInnen der 68-iger Generation allerdings begrüßt.
Unsere modernen StudentInnen sind zum Großteil menschlich und fachlich in Ordnung (fachlich allerdings nur, sofern der moderne Studienbetrieb der Massenuniversitäten dies zulässt). Auch hier: ein bisschen mehr Leistungsbereitschaft würde unserer Forschung und unserer Wirtschaft nicht schaden. Statt „On the Road“ verbringen StudentInnen ihre Ferien (oft auch etwas länger) im weitesten Sinne „On Rail“. Sie benutzen Billigflüge, Bahnreisen und Busse, um nicht vorgebuchte, sondern durch Freunde empfohlene Reiserouten und Übernachtungsmöglichkeiten in Indien und China zu erleben – manche kennen sich dort besser als in der Geografie Österreichs aus.
In den Zügen sitzen junge Päarchen deren Unterhaltung oft intelligenter ist, als es ihrem outfit entspricht – man ist schließlich „On Rail“ – vielleicht zum
nächsten Flugplatz nach Indien, vielleicht aber auch nur zu ihren Eltern in Mistelbach. Gott sei Dank haben sie – außer ihrem oft verwahrlost erscheinendem Aussehen vermutlich keine anderen
Ideologien im Kopf, als Indien zu absolvieren, möglichst brav zu studieren und dann irgendwann einen geordneten Platz in der Gesellschaft einzunehmen – Sex ja, rauchen sowieso, Joints immer weniger –
unser heutiges Leben ist aufregend genug um durch Drogen noch aufregender gestaltet zu werden.
(08.06.2010, redigiert 2014)