Briefe an einen unbekannten Feind

 


Hastiger Briefschreiber und Postillion - Meno Haas 1825, kein copyright (USA eingeschlossen)

 

Ich bilde mir ein, keine nennenswerten Feindinnen oder Feinde zu haben. Das ist allerdings nur eine vorläufige subjektive Annahme - wer weiß, ob ich nicht irgend jemandem einmal Grund  gegeben habe, oder Grund geben werde, mich als Feind zu betrachten. Nur deshalb habe ich aus reiner Voraussicht einige Briefe vorformuliert, um im Falle einer sich anbahnenden, hypothetischen Feindschaft bestmöglich gewappnet zu sein und nicht in die Verlegenheit zu geraten, diesem rein hypothetischen Vorfall, völlig unvorbereitet gegenüber zu stehen bzw. diesem in zivilisierter Form zu begegnen.

 

1. Zwei Briefmodelle an eine/n StraftäterIn, die/der mich begründet oder rein zufällig umbringen wollte oder ermordet hat.

 

Modell A: Sehr geerte/r Frau/Herr X, Sie wollten mich am Soundsovielten (das Datum würde ich dann einsetzen) umbringen. Ich hatte Ihnen keinen Grund zu Ihrem Vorhaben gegeben, deshalb bitte ich Sie höflichst, mir Ihre Gründe für die glücklicherweise nicht vollendete Tat darzulegen, um Sie je nach der damit verbundenen Absicht vor Gericht eventuell entlasten zu können und die Richter zu bitten, ein mildes Urteil zu fällen. Mit freundlichen Grüßen etc….Ihr…

 

Modell B: Sg. Fr/Hr X, Sie hatten mich am Sounsovielten (das Datum würde ein Notar einsetzen) aus einem mir nicht begreiflichen Grund umgebracht. Da ich vor Gericht dadurch kein Mitspracherecht mehr habe, teile ich Ihnen höflichst mit, dass ich, sollten Sie zu der Spezies asozialer Elemente gehören, kein Mitleid mit Ihnen hätte, es sei denn, Sie würden glaubhafte Argumente für Ihr asoziales Verhalten vorbringen, wobei für mich eine asoziale Kindheit kein Entschuldigungsgrund wäre, da diese in unserer Zeit fast Gang und Gäbe ist. Allerdings werden bei weitem nicht alle Täter mit derartigem Hintergrund zum/zur MörderIn, zumal sich unsere sozialstaatlichen Einrichtungen zumindest einbilden, in dieser Hinsicht positiv auf Ihre soziale Zukunft eingewirkt zu haben. Sollten Sie jedoch aus niederen Motiven gehandelt haben, so würde ich die Staatsanwaltschaft hiermit bitten, die Todesstrafe mit besonders grausamer Vollstreckung zu verhängen – und das, obwohl ich zu Lebzeiten ein strikter Gegner der Todesstrafe war. Es ist ein Unterschied, ob ein noch Lebender ethische Bedenken gegen diese Strafe hat, weil jede Ethik als Übereinkunft einer Gesellschaft gilt, oder ob ich als Nichtmehrmitglied infolge Ihrer Tat dieser Gesellschaft nicht mehr angehöre und daher an solche ethischen Bedenken naturgemäß nicht mehr gebunden bin.

 

2. Feindschaft aus Eifersuchtsgründen

 

Sehr geehrter Herr X – ja, ich habe am (ab) dem Sounsovielten Ihre Frau/ Freundin verführt, was mir besonders leicht fiel, weil Ihre Frau/ Freundin damit völlig einverstanden war und im Grunde eigentlich umgekehrt mich verführte. Aus Grund der gegebenen Umstände gibt es nur drei Möglichkeiten, die Sache zivilisiert aus der Welt zu schaffen, indem ich entweder Ihre Erlaubnis erhalte, Ihre Frau/ Freundin weiterhin verführen zu dürfen bzw. von ihr verführt zu werden (sozusagen in einer Ménage à trois), oder sie Ihnen abspenstig zu machen, oder aber Sie zu bitten, Ihre Frau/ Freundin besser zu behandeln bzw. sie selbst zu verführen. Wir leben in einer zunehmend beziehungsoffenen Welt und ich warte daher mit Interesse auf Ihre diesbezügliche Entscheidung…

 

3. Feindschaft aus beruflichen Gründen

 

Sehr geehrte Frau X bzw. sehr geehrter Herr X – ich kann nichts dafür, dass ich zu Ihrem Vorgesetzten oder - da dieser Ausdruck heute nicht mehr modern ist, weisungsberechtigten Mitarbeiter, ernannt worden bin, versichere Ihnen jedoch, dass auch ich einEn Vorgesetzte/n bzw. weisungsberechtigte/n MitarbeiterIn habe und dieser wiederum eine/n weisungsberechtigte/n MitarbeiterIn hat usw. und wir alle daher ein gleichberechtigtes Team (sozusagen eine große Familie) bilden, ohne das (bzw. die) eine moderne Firma offenbar nicht mehr handlungsfähig ist, selbst wenn es sich dabei um nichtssagende Managementfloskeln handelt. Denken Sie bitte stets daran, dass auch Ihr/e direktorale/r MitarbeiterIn eine noch höher angesiedelte gleichberechtigte Führungskraft hat, die jedes gleichberechtigte Team- oder Familienmitglied - und daher selbstverständlich auch Sie und mich, jederzeit in beiderseitigem gleichberechtigtem Einvernehmen entlassen kann…

 

4. Feindschaft aus nachbarschaftlichen Gründen

 

Sehr geehrte Frau X, ich möchte Sie dringend darauf aufmerksam machen, dass Ihr Hund namens „August“ in der Zeit vor 7 Uhr früh, während der Mittagszeit und abends nicht bellen darf und Sie daher verpflichtet sind, Ihren Hund zu nachbarschaftlich vertretbaren Bellzeiten zu erziehen, andernfalls Sie von meinen Anwälten hören würden…

 

5. Feindschaft gegen das eigene Ich

 

Da ich gelegentlich bemerke, mit mir nicht zufrieden zu sein und auch nicht weiß, wann und ob diese Unzufriedenheit eventuell in eine ernste Antipathie gegen mich selbst umschlagen kann, habe ich ein Schreiben verfasst, welches ich zu gegebener Zeit eingeschrieben an mich absenden würde:

 

„Lieber AR, lass’ bitte diesen Unsinn und versuche Deinen Selbsthass in einen flottierenden bzw. verschiebbaren Hass umzuwandeln, der andere zu Sündenböcken Deiner augenblicklichen Stimmungslage macht – hast Du schon einmal beobachtet, dass sich Aufsichtsräte, Investmentbanker, PolitikerInnen etc. wegen Unwissen oder Fehlentscheidungen jemals selbst hassen? Eben! Mach’ es so wie die Genannten und gib anderen die Schuld - man kann damit bestens leben!“

 

(10.6.2013)

 

 

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