Der Autor wollte den folgenden Beitrag zunächst löschen – Al-Kaida liegt immerhin mehr als 10 Jahre zurück. Die Quintessenz des Beitrags ist jedoch auch für die heutige Zeit so präsent, dass davon Abstand genommen wurde. So sind nur einige Textstellen etwas redigiert worden.

 

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Kriegsähnliche Zustände führen zu Fehlinterpretationen des Kriegsvölkerrechtes - am Beispiel von Al-Kaida

 

The flag of al-Queda, fiktive Flagge ersmals seit 2004 aus einem Video bekannt - public domain (Autor: Emerson Bergolly)

Zu dieser Zeit beriefen sich anlässlich der Ereignisse in den arabischen Ländern oder durch die Tötung Bin Ladens immer häufiger Stimmen, die sich auf das Völkerrecht, die Charta der Vereinten Nationen oder auf Verfassungen und das deutsche Grundgesetz berufen. Es ist gut, dass es solche Richtlinien gibt, die für die Politik eines Landes wesentliche Leitlinien sind, weil sie bewusst eine gewisse Konstanz der Politik garantieren, die sonst nicht gegeben wäre – heilige Kühe sind solche Leitlinien trotzdem nicht.

 

Was das Völkerrecht betrifft, so ist dieses eine über längere Zeiträume entstandene Vorstellung eines friedlichen Miteinanders der Völker, jedoch eine Rechtsvorstellung, die nur sehr ungenau definierbar ist. Das Völkerrecht oktroyiert den einzelnen Nationen keine verbindlichen Richtlinien auf – diese sollen eben durch Verfassungen oder Grundgesetze für einzelne Länder unterschiedlich festgelegt werden. „Heilige Kühe“ sind diese Richtlinien (auch die UN Charta) aber nicht, weil sie fast alle im Jahre 1945 oder wenige Jahre später nach einem Weltkrieg formuliert wurden, der die Gründungsväter vieler Staaten dazu bewog, Fehler der Vergangenheit zu vermeiden. Zwar ist eine Änderung von Verfassungen oder des deutschen Grundgesetzes jederzeit durch eine Zweidrittelmehrheit im Parlament möglich, die Erreichbarkeit einer solchen Mehrheit ist jedoch heute schwieriger als 1945. Nach 1945 bestand die Parteienlandschaft (z.B. in Österreich oder Deutschland) aus etwa drei Großparteien (Volksparteien) und allenfalls wenigen kleinen Splitterparteien, welche die 4 bzw. 5 % Hürde ins Parlament nicht schafften. Heute – nach mehr als sechs Jahrzehnten hat sich die Parteienlandschaft vieler Staaten so verändert, dass für viele Änderungen einer Verfassung keine Zweidrittelmehrheit mehr zustande käme.

 

Kriegsähnliche Zustände

 

Etwas anderes hat sich gleichfalls geändert: Obwohl es in vielen Teilen der Erde kriegerische Auseinandersetzungen gibt, handelt es sich jedoch nicht um Kriege wie etwa im Falle des Zweiten Weltkrieges, sondern um kriegsähnliche Zustände ohne Kriegserklärungen, weshalb auch in letzter Zeit häufiger erwähnte Zuwiderhandlungen gegen das Kriegsrecht (eigentlich Kriegsvölkerrecht) sehr kritisch betrachtet werden müssen. Nach der Charta der Vereinten Nationen sind Kriege nach Artikel 2 Ziffer 4 nicht zulässig – daher kommt es eben leider vermehrt zu „kriegsähnlichen Zuständen“, die auch die Beurteilung mancher Handlungsweisen einzelner Länder erschweren.

 

Ein Fall welcher die Meinungen der Menschen (besonders in Deutschland und Österreich, aber auch international) damals spalteten war die Tötung des geistigen Führers der Al-Kaida Bin Laden durch die USA in einem fremden Territorium (Pakistan). Amnesty International und viele BürgerInnen bezeichneten diese Tötung als Verstoß gegen das Kriegsvölkerrecht und hätten sich gewünscht, Bin Laden festzunehmen und vor ein ordentliches Gericht zu stellen. Das klingt gut und rechtlich einwandfrei – leider wird die Realität einer solchen Vorgangsweise nicht richtig eingeschätzt. Abgesehen davon, dass es auch heute ähnliche Anschläge wie die von Al-Kaida geben wird, muss frau/man sich jedoch realistischerweise vorstellen, was ein ordentlicher Prozess mit großer Wahrscheinlichkeit für Folgen gehabt hätte. Zu befürchten wären nicht nur gewaltsame Befreiungsversuche oder weitere Terroraktionen von Al-Kaida in den USA oder in anderen Ländern (u.a. Deutschland) gewesen. Viel wahrscheinlicher wären Geiselnahmen harmloser Bürger durch Al-Kaida-Anhänger nicht in den USA, sondern in jedem beliebigen Land der Erde gewesen. Was würde z.B. passieren, wenn heute BürgerInnen in auf Terroraktionen wenig gut vorbereiteten Ländern als Geiseln genommen worden wären? In diesem Falle wären die USA unter dem Druck der ganzen Welt unter Umständen gezwungen gewesen, nachzugeben und Bin Laden keiner gerechten Strafe zuzuführen. Was einen anderen Vorwurf betrifft, nämlich denjenigen, sich über den Tod zu „freuen“, so muss festgestellt werden, dass so etwas niemals von Politikern ausgesprochen werden darf – hier fehlte es einfach an der gebotenen Sensibilität, die leider fast den meisten PolitikerInnen um so mehr abhanden kommt, je länger sie schon an der Macht sind.

 

Wir werden bei „kriegsähnlichen Zuständen“ immer wieder auf Vorgangsweisen stoßen, die mit bereits vorhandenen Gesetzeswerken kollidieren. Es ist auch unerträglich, dass nicht nur die USA, sondern viele europäische Staaten sich nicht sensibel und konsequent genug verhalten, wenn es um wirtschaftliche Interessen geht. So sind Waffenlieferungen aus Österreich oder Deutschland in bestimmte Regionen unserer Erde absolut verwerflich, wobei schon die Produktion von Waffen, außer für die Versorgung eines Heeres im eigenen Lande bzw. verbündete Länder, die nicht mit anderen Ländern in „kriegsähnlichen Zuständen“ leben, grundsätzlich verboten werden müsste. Im Prinzip gilt diese Sensibilität für alle Produkte, sofern Sanktionen gegen ein Land beschlossen werden. Wenn hier nur wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen, wird es niemals zu einem friedlichen Miteinander kommen und wir machten uns dabei selbst mitschuldig. Die Brutalität mancher Führer im arabischen Raum beim Niederschlagen von Revolten einerseits zu verurteilen, andererseits nicht wirklich voll und ganz hinter beschlossenen Sanktionen zu stehen, weil eventuelle spätere Geschäftsverbindungen mit diesen Ländern nicht gefährdet werden sollen, ist im Grunde völkerrechtlich ebenso verwerflich, wie anlässlich „bürgerkriegsähnliche“ Zustände auf Demonstranten zu schießen.

 

Abschließend noch einmal zurück zum Beginn des Beitrags:

 

Alle Verträge (Verfassungen, Grundgesetze etc.), die aus der Sicht einer bestimmten Ausgangsposition formuliert wurden, können nicht ewige absolute Gültigkeit haben, sondern müssten von Zeit zu Zeit an die geschichtlichen Veränderungen im Laufe der Jahrzehnte angepasst werden. Dies ist, wie bereits erwähnt, oft sicher nicht einfach, weil solche Gesetze dies oft aus sich selbst verbieten. Wenn es jedoch in einigen Jahrzehnten möglicherweise zu keinen parlamentarischen Mehrheiten für notwendige Anpassungen mehr kommt, klaffen zeitpolitische Realität und antiquierte Realität (sprich: Vergangenheit) immer mehr auseinander.

 

 

(08.05.2011) redigiert: 10.06.2021

 

 

 

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