Die Oper zuhause – Live-Streaming und die Folgen

 
Projektion einer Oper zuhause - © Wikipedia, Public Domain

Live-Streaming oder Echtzeitübertragung ist seit einiger Zeit zur technischen Selbstverständlichkeit geworden. Von den unterschiedlichen technischen Möglichkeiten, auf die hier nicht eingegangen werden soll, hat sich derzeit die serverbasierte Lösung (über einen Streamserver) am besten zur Übertragung von Live-Übertragungen bewährt. Dabei wird der „Stream“ von einem „Producerserver“ an einen zentralen Server geleitet, der den Stream dann über das Internet an Tausende von Zuschauern gleichzeitig vermittelt. Auf diese Weise können Sportereignisse, Video-Lifeschaltungen und neuerdings zunehmend auch kulturelle Ereignisse wie Opernpremieren direkt am Bildschirm zuhause miterlebt werden. Da es immer mehr Fernsehsender mit Internetanschluss gibt, kann also eine Oper z.B. auf einem großen Flachbildfernseher als eine Art Heimkino bequem mitverfolgt werden. Eine andere Möglichkeit ist die Projektion von einem Laptop mittels der heute sehr leistungsstarken Beamer auf eine große Projektionsleinwand.

 

Im Musikwiedergabegeschäft (ohne Bildübertragung) ist die Streamertechnik zum ernsten Konkurrenten für Tonträger (CD, oder DVD) geworden. Insbesondere die Jugend hört Musik, sei es direkt oder als Download zunehmend lieber über das Internet per Smartphone oder iPod, anstatt die bisher üblichen CD’s zu kaufen. Das klingt zunächst verlockend, weil die Musik a) unterwegs gehört werden kann und b) zuhause kein Platz für eine CD-Sammlung mehr erforderlich ist.

 

Vor- und Nachteile dieser Entwicklung

 

Über die Vorteile braucht man keine Worte zu verlieren, sie wurden bereits angedeutet, daher soll nachfolgend auf die Nachteile dieser Entwicklung aufmerksam gemacht werden.

 

Jede anspruchsvolle Sammlung von Tonträgern (CD oder Schallplatten) enthält musikalische Zeitdokumente verschiedener Musikauffassungen hinsichtlich ihrer Entstehungszeit. Wirkliche Musikliebhaber (insbesondere der klassischen Musik, die heute oft despektierlich als „E-Musik“ bezeichnet wird) besitzen meist mehrere Interpretationen eines kammermusikalischen Werkes, eines Solokonzertes oder einer Sinfonie ganz unterschiedlicher Musikauffassugen. Im Lauf der Jahre oder Jahrzehnte entwickelt sich dadurch eine „analytische Sensibilität“ die jedem abgeht, der lediglich eine einzige Interpretation kennt. Die Musikindustrie, die ihre Produktionen je nach Art der Musik unter verschiedenen „Labels“ vertreibt, tut sich gerade bei jährlichen Neuerscheinungen von klassischer Musik (in der die zeitgenössische Musik inbegriffen ist) zunehmend schwerer, eine Auswahl zu treffen, die einerseits dem gerade herrschenden Musikgeschmack entspricht und andererseits musikalisch höchste Qualität bietet. Die instrumentelle Beherrschung der Technik hat sich in den letzten Jahrzehnten bei jungen MusikerInnen enorm verbessert, was sich auch auf die Qualität früher oft mittelmäßiger Orchester auswirkt (fast alle Orchester sind heute mit MusikerInnen der ganzen Welt besetzt). Musik ist „internationaler“ als früher geworden – mit dem Nachteil, dass viele Orchester auch ihr spezifisches Flair verloren haben. Was ist heute z.B. typisch für die „Berliner Philharmoniker“, die „Wiener Philharmoniker“, das ehemals berühmte Cleveland Orchester oder Kammermusikorchester wie die „Camerata Academica“ unter Bernhard Paumgartner oder Sandor Vehg (heute Camerata Salzburg unter wechselnden Chefdirigenten)?. Das Gleiche gilt für die ehedem berühmten Orchester „St. Martin in the Fields“ oder „I Musici“, das „Freiburger Barockorchester“ oder das „Berliner Barockorchester“, wem sind die Unterschiede des Violinspiels von David Oistrakh und Nathan Milstein, oder die Besonderheit der Pianisten Sviatoslav Richter, Vladimir Horowitz und Friedrich Gulda bekannt? KennerInnen „kennen“ die Unterschiede genau – das beruht allerdings darauf, dass frau/man diese Orchester oder Solisten entweder selbst gehört hat oder auf Musik-CD Aufnahmen (oder Schallplatten) zurückgreifen kann.

 

Selbstverständlich gibt es kein Einvernehmen darüber wie J.S. Bach wirklich gespielt gehörte (eher romantisch, streng, mit oder ohne „Dynamik“, Agogik oder Vibrato bei Bläsern oder Sängern etc.), so etwas lässt sich nicht ermitteln, das ist im Grunde auch eher nebensächlich, sofern eine Musikaufnahme „Musikalität“ ausstrahlt. Musikalität ist weder bei Interpreten noch bei den Zuhörern angeboren, sie kann aber erlernt werden(1) und ist nur durch Vergleiche möglich. Genau dies wird durch die moderne Form des Musikkonsums fast unmöglich gemacht – da nützen auch die sparsamen Vergleiche zwischen einigen wenigen youtube Aufnahmen (als Beispiel für „streaming“) nicht viel.

 

Der Besuch einer Oper oder eines Konzertes ist ein vom Augenblick durch die Präsenz der Aufführung besonderes Erlebnis, das weder durch Musikkonserven (CD, DVD oder Schallplatten) ersetzt werden kann. Das Genießen von „Live Streaming“ einer besonderen Opernpremiere zuhause kann das Besondere an solchen Erlebnissen nicht ersetzen, zumal die Oper oder das Konzert nach einiger Zeit per Knopfdruck verlassen und durch irgend eine andere Sendung ersetzt werden kann – wie wir dies beim üblichen TV Konsum gewohnt sind, wenn ein TV-Erlebnis entweder zu langweilig oder geistig zu anstrengend ist.

 

Warum benützen inzwischen renommierte Opernhäuser (neuerdings auch die österreichische Staatsoper) diese neue, Form ihre Produktionen weltweit durch Live-Streaming zur Verfügung zu stellen? Das Schlüsselwort liegt in „weltweit“. Was alle machen und technisch möglich ist, muss aus „Werbegründen“ mitgemacht werden, schon weil dies letztlich dem Bekanntheitsgrad großer Opernhäuser und dadurch auch dem Tourismus dienlich ist.

 

Auf die mit dieser Entwicklung verbundenen neuen Probleme wie die zusätzliche Vergütung der Solisten, Orchester etc. soll hier nicht eingegangen werden, man muss wohl davon ausgehen, dass es in Zukunft ohne zahlungspflichtige Live-Streaming-Erlebnisse nicht gehen wird, genauso wie das „Downloaden“ von Musik aus dem Internet irgendwann einmal kostenpflichtig werden könnte. Auch auf die Unterschiede von Live-Streaming Aufführungen oder „Streaming on Demand“ soll hier nicht eingegangen werden – die Kernaussage dieses Beitrags ist die Verarmung der Sensibilität für Musik, die leider der allgemeinen Desensibilisierung in allen Fragen des Geschmacks, insbesondere auch durch das  kulturelle „Crossover“ entspricht und der kommerziellen Unbedarftheit unserer Gesellschaft entgegenkommt.

 

(12.3.2016, vollständig redigierte Fassung eines Beitrags aus "Kulturforum-Kontrapunkt", 2013)

(1) Musikalität ist nur in den seltensten Fällen wirklich angeboren, diese Erfahrung hat der Autor bei der Musikerziehung seiner Kinder und deren Freunden immer wieder gemacht. So konnte sich das was man gemeinhin unter Musikalität versteht (Ausdruckskraft bei der Wiedergabe von Musik) - sich sehr schnell beim Wechsel zu einem anderen Musiklehrer oder einer anderen Musiklehrerin ändern. Später im Erwachsenenalter ist der ständige Vergleich möglichst vieler Musikaufnahmen unterschiedlicher InterpretInnen unerlässlich. Ich erinnere mich deutlich an den Satz meines Lehrers für Querflöte, die ich erst im Erwachsenenalter erlernte: „Für den Anfänger ist der beste Musiklehrer gerade gut genug“ 

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