Das Dorfmuseum

 


Dorfmuseum - © Alfred Rhomberg - frühe Zeichnung 1970, Ölkreide

 

 

Das Dorf war ein ganz normales Dorf mit einer Kirche, 53 Hotels, einem 18 Loch-Golfplatz, einem Erlebnisbad, einem Reitstall und zahlreichen Solaranlagen – einen Bürgermeister gab es natürlich auch.

 

Der Bürgermeister war stolz, dass dies alles - außer der Kirche - unter seiner, wenn auch nur geliehenen, Herrschaft geschaffen werden konnte – trotzdem fehlte ihm noch die Krönung seiner Amtsperiode, etwas das mit seinem Namen verknüpft war und das ihn auch nach seiner höchst unwahrscheinlichen Abwahl, d.h. also nach seinem Tode, unsterblich machen würde. Nach einer durchzechten Nacht in der Bar eines seiner eigenen Hotels – 19 Hotels gehörten ihm selbst, der Rest russischen Investoren, kam ihm die Idee, ein Dorfmuseum zu erbauen, das EU-gefördert, nicht allzu teuer kommen würde. Das Museum sollte aus alten Fotos rekonstruiert all das in Erinnerung rufen, was zu Beginn seiner inzwischen fünfzigjährigen – nur geliehenen Herrschaft als Relikte einer vergangenen Zeit noch existierte. Der Bürgermeister forderte seine Gemeinde auf, ihm alte Fotos vorrübergehend zu überlassen, damit sein Museumsprojekt möglichst authentisch gestaltet werden konnte. Die Dorfbewohner kamen seiner Bitte bereitwillig nach,  doch war die Ausbeute an brauchbaren Bildern leider dürftig – ja völlig ungeeignet für das Projekt. Ältere Familien, die früher noch dem Bauernstand angehört hatten, schickten Fotos ihrer Hochzeit, ihrer Kinder und Enkelkinder – aber keine Fotos von ihren Kühen, die unbedingt in das Dorfmuseum gehörten, weil es inzwischen keine Kühe mehr gab. Andererseits – welcher Bauer fotografierte, sofern er bereits über einen Fotoapparat verfügte, schon seine Kühe! Jüngere Familien sendeten Fotos ihrer Hochzeitreise in der Karibik, ihrer Kinder, ihrer Sportwagen und ihrer Hotels (als diese noch nicht in russischem Besitz waren). Mit dem angesammelten Bildmaterial war nichts, aber schon gar nicht anzufangen.

 

Um seine Projektidee zu retten beauftragte er einen namhaften Skulpturisten, das Dorf möglichst authentisch nachzubilden – wie, das sei seine Sache, aber Kühe dürften unter keinen Umständen fehlen.

 

Für den Skulpturisten war die Aufgabe nicht allzu schwierig. Er fotografierte das Dorf in allen Einzelheiten, bildete alles aus Holz nach, nur die Kühe machten ihm Schwierigkeiten, die er jedoch mit Hilfe der Wikipedia-Enzyklopädie irgendwie lösen konnte. Er formte aus den all zu realistischen Vorbildern abstrakte Kuh-Modelle, da er seiner Arbeit einen ihm eigenen künstlerischen Stil geben wollte – Künstler sind hinsichtlich ihres Nachruhms oft gleich eitel wie Bürgermeister.

 

Die Eröffnung des Dorfmuseums ging als denkwürdiges Ereignis in die Dorf- und Kunstgeschichte ein. Alle Besucher waren des Lobes wegen der Authentizität der ausgestellten Exponate voll. In einer genialen abstrakten Glashalle war das Dorf mit einer Kirche, 53 Hotels, einem 18 Loch-Golfplatz, einem Erlebnisbad, einem Reitstall und zahlreichen Solaranlagen nachgebildet – ein Portrait des Bürgermeisters gab es natürlich auch. In einer Ecke standen einige rätselhafte Wesen, die im Gegensatz zu allen anderen nicht beschrifteten Objekten vorsichtshalber mit der Bezeichnung „Kühe“ beschriftet waren. Ein Kunstkritiker hob in einer Fachzeitschrift besonders hervor, dass die Besucher beim Verlassen des Museums in eine geradezu irrationale Welt treten würden, in der alles genauso wie im Museum war – nur etwas größer - und in der nur leider die Kühe fehlten!

 

Der Bürgermeister würde um eine völlige Authentizität zu erzielen, einige Kuhskulpturen in seinem Dorf aufstellen lassen.

 

(8.8.2013)

 

 

Vergl.  "Dorf-Ästhetik" 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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