Heimat – der noch immer nicht ganz definierte Ort

  

Nach der Sonntagsmesse in Vill/ Tirol - (c) Alfred Rhomberg

 

Es sind einige Jahre her, als ich meinen ersten Beitrag zum Thema „Heimat“ schrieb(1), ein Beitrag der gleichzeitig eine lange angenehme Zusammenarbeit mit „startblatt.net“ einleitete. Mehrere Beiträge zu diesem Thema folgten, wobei offenbar der Beitrag „Ein Goldfisch auf Heimatsuche“ zu den beliebtesten gehörte(2). Hat sich in meiner Einschätzung zum Thema „Heimat“ in den vergangenen Jahren etwas verändert? Ja und nein! Ja deswegen, weil ich den ersten Beitrag heute etwas weniger „flapsig“ und weniger „Tirol-bezogen“ geschrieben hätte, nein, weil ich zu den anderen Beiträgen dieser Reihe nach wie vor „stehe“.

 

Es ist bekanntlich erlaubt, zu „reflektieren“, wobei das Ziel aller Reflexionen ein Überdenken alter Positionen sein sollte. Nach wie vor gilt das bereits im ersten Beitrag eingefügte Wikipedia Zitat:

 

„Das deutsche Wort Heimat verweist auf eine Beziehung zwischen Menschen und Raum. Allerdings ist die geographisch-historische Eingrenzung der Bezugsräume keine feststehende, sondern situationsbedingt verschiebbar“.

 

Zwischen den Grenzbegriffen „My Home is my Castle“ und der eher US-amerikanischen Auffassung „Heimat ist dort, wo ich leben kann“ gibt es einen weiten Spielraum unterschiedlicher Heimat-Auffassungen. So gibt es u.a. allein in Ostdeutschland unzählige Orte, die als Heimat der dort ansässigen (oder ausgewanderten) Bevölkerung gelten können, obwohl die wirtschaftlichen Verhältnisse vielfach noch etwas schlechter als in den westlichen Bundesländern sind. 

 

Fast 30 Jahre lebte ich situationsbedingt unter sehr unterschiedlichen Bedingungen in Deutschland. Warum ich trotzdem Tirol als „meine Heimat“ bezeichne, obwohl ich die ersten 10 Jahre meines Lebens unter ungünstigen Bedingungen in Deutschland verbringen musste und später nach meiner Gymnasialzeit und meinem Studium der Chemie in Innsbruck – wiederum in Deutschland verbrachte, schien zunächst unbegründbar, ist mir heute jedoch deutlich bewusster geworden.

 

Obwohl ich Tirol 1965 mit einer damals typisch österreichischen guten Schul- und Universitätsausbildung verließ, ist mir Deutschland aus verschiedenen Gründen nicht zu einer geistigen „Heimat“ geworden, hauptsächlich deswegen, weil das Nachkriegsdeutschland in den folgenden Jahrzehnten zwar unbestritten zur Wirtschaftsmacht wurde aber dabei seine kulturellen Wurzeln (außer in wenigen Städten) weitgehend preisgab. Auch Innsbruck hatte kulturell zu dieser Zeit noch sehr wenig zu bieten, umso angenehmer war ich überrascht, was sich in Tirol bis zu meiner Rückkehr (1996) inzwischen getan hatte und weiterhin tut. Das ehedem mäßige Sinfonieorchester und das Landestheater haben erheblich an Niveau gewonnen, die Zahl an Museen und Kunstgalerien hat zugenommen (insbesondere auch für zeitgenössische Kunst, die 1965 in Innsbruck praktisch nur als Fremdwort existierte), die Innsbrucker Festwochen für Alte Musik sind ein international bekanntes Element einer neuen, nicht elitären, jedoch qualitativ hochgradigen Festspielkultur und es hat sich eine Architektur etabliert, mit der zwar nicht alle Innsbrucker einverstanden sind – was jedoch eher für die Architektur, als für die Innsbrucker spricht. Vor allem hat sich eine kulturelle Entwicklung auch außerhalb der Stadt Innsbruck entwickelt. Viele kleine Städte wie Hall in Tirol (Sprachsalz), Schwaz (Klangspuren), Erl, Telfs, Rattenberg und andere bieten heute kulturelle Höhepunkte, wobei insbesondere die Schwazer Klangspuren für neue Musik und die grandiosen musikalischen Festspiele der früher nur für Passionsspiele bekannten Ortschaft Erl im Grenzgebiet Tirols zu nennen sind. Viele solcher kulturellen Errungenschaften haben sich auch in anderen Teilen Österreichs (und selbstverständlich auch in Teilen Deutschlands) entwickelt – für Tirol war das wegen seiner Kleinheit und Sportbezogenheit 1965 noch nicht vorhersehbar. Vorauszusehen war auch nicht die über ganz Tirol verteilte Etablierung kleiner guter Kammermusik-Ensembles. Es gab früher zwar bereits Musikschulen und ein Konservatorium, die breite Entwicklung dieser Institutionen, sowie eine Dependence des Salzburger Mozarteums in Innsbruck haben jedoch dazu beigetragen, dass inzwischen auch international bekannte Spitzenkräfte ihren Weg von Innsbruck aus geschafft haben. Wo gibt es ferner eine Stadt von der aus frau/man im Sommer und Herbst nach Büroschluss noch eine Bergtour machen kann?

 

Immer stärker hat sich bei mir die Erkenntnis verdichtet, dass der Begriff „Heimat“ sehr eng mit Kultur im weitesten Sinn verknüpft ist, wobei ich alle Arten von Kultur, auch die Pflege nicht artifiziell für Touristen wieder entdeckten Brauchtums, einbeziehe.

 

So seltsam es klingen mag – ich könnte mir m.E. auch die Stadt New York als Heimat vorstellen, weil es dort fast alles gibt – außer natürlich die Berge Tirols.

 

Resumée: Trotz der Absicht, nicht Tirol-bezogen zu schreiben: “Tirol isch lei oans” – jedoch nicht, wenn frau/man mit dem Handy von Nordtirol nach Südtirol telefoniert – wie es meine Tochter einmal ausdrückte.


 

(1) Heimat findet überall satt - am meisten in Tirol

 

(2) Ein Goldfisch auf Heimatsuche

 

 

(2012)

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