Der Treppenzwist
 
Virtuelle Treppe - © Alfred Rhomberg

Ein Künstler(ehe)paar hatte sich - noch ehe sie ein Paar wurden, auf völlig entgegengesetzte künstlerische Richtungen spezialisiert. Sie liebte (und konstruierte) aufwärts gerichtete Treppen, er liebte (und konstruierte) abwärts gerichtete Treppen. Gegensätze ziehen sich bekanntlich an – bis dann jener Punkt kommt, an dem die Gegensätze zu hart aufeinanderprallen. Zwar kam es nicht zum sofortigen Bruch ihrer Beziehung, jedoch nur solange sie ihre Produkte gut verkaufen konnten. Als jedoch der Treppenkunstmarkt gesättigt war, blieben die Aufträge aus. Traurig baute „sie“ ihre letzte aufwärts gerichtete Treppe in das Dachgeschoss ihres gemeinsamen Hauses, „er“ dagegen weigerte sich, seine letzte Abwärtstreppe ebenfalls einzubauen, weil er diese gerade noch zu einem guten Preis verkaufen konnte. Das Künstler(ehe)paar musste von nun an getrennt leben, weil sie das Dachgeschoss ja nicht mehr verlassen konnte – dazu hätte es seiner Abwärtstreppe bedurft. Zuerst versuchte sie, ihn mit schmeichelnden Worten zu bitten, eine letzte Abwärtstreppe zu bauen um sie aus ihrer misslichen Lage zu befreien, was er strikt ablehnte, da er mit seinen Gedanken inzwischen bereits in höheren intellektuellen Sphären der Treppenkunst schwebte – in einer Welt der virtuell extended geprägten Kunstsphäre. Jetzt war es nicht mehr notwendig, selber handanzulegen um Auf- oder Abwärtstreppen zu bauen. Mit Hilfe einer Spezialbrille konnte er sowohl Aufwärtstreppen, als auch Abwärtstreppen – ja sogar „Quer- und Wendeltreppen“ beliebig in jede denkbare Umgebung digital einbauen. Seiner Partnerin nützte der geistige Höhenflug ihres (Noch)partners nichts – leider ist es technisch noch nicht möglich, ein Dachgeschoss virtuell zu verlassen und so blieb ihr wegen der Sturheit ihres (ehe)maligen Partners nichts Anderes übrig, als einen Anwalt anzurufen, der wegen der Dringlichkeit des Problems auch sofort kam, die Aufwärtstreppe ins Dachgeschoss seiner Mandantin benützte, um sich mit ihr zu beraten, anschließend jedoch das Dachgeschoss wegen der fehlenden Abwärtstreppe gleichfalls nicht mehr verlassen konnte.

 

Leider ist über den Ausgang dieses Treppenzwistes noch nichts Näheres bekannt, weil bei dem Fall juristisches Neuland betreten wurde - wie es heute auch bei der Löschung unerwünschter Internetpostings der Fall ist und möglicherweise auch beim Turmbau zu Babel zu erwarten gewesen wäre - dabei hätte es für eine friedliche Einigung hier nur des Baus einer einfachen normalen Abwärtstreppe bedurft (siehe untere Abbildung).

 

Früher nannte man eine derartig sture Haltung "Betonkopf-Avantgardismus" !

 

(18.12.2016)

Abwärtstreppe - © Alfred Rhomberg
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