Über den zweifelhaften Sinn der „Totalvermessung“ des Universums

 

Blick auf galaktische Gebilde II - © Alfred Rhomberg

 

Der deutsche Weltraumforscher Wolfgang Baumjohann(1) wurde laut ORF (7.1.2015) vom Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten zum österreichischen Wissenschaftler des Jahres 2014 gewählt. Niemand bezweifelt, dass Baumjohann diese Ehre verdient hat - Zweifel treten nur auf, wenn man ganz allgemein über den Sinn und die Kosten zur Erforschung des Universums durch die moderne Astrophysik nachdenkt.

 

Doch zuvor ein kleiner Abstecher zu einem interessanten Kinofilm „Die Vermessung der Erde“ aus 2012, TV-Übertragung ARD am 5.1.2015, (Drehbuch: David Kehlmann). Der viel beachtete Film wird als Komödie bezeichnet, ist genauer betrachtet jedoch eine sehr intelligente Darstellung zweier völlig unterschiedlicher Wissenschaftsgenies der Neuzeit: Alexander von Humboldt (1769-1859, Berlin), der als leidenschaftlicher Universal-Naturforscher alle Teile der Erde bereist, alles erforschen sammeln und begreifen will und sich sogar Selbstversuchen unterzieht. Sein genialer Freund Carl Friedrich Gauß (1777-1859, Braunschweig, Göttingen) betreibt dagegen seine Forschung am liebsten zu Hause durch Nachdenken und wird durch zahlreiche Entdeckungen auf dem Gebiet der Mathematik berühmt, Gauß interessiert sich aber auch für Landvermessung, das Erdfeld, elektrische Phänomene und ist später Direktor der Göttinger Sternwarte. Die Biographien der beiden Protagonisten sind im Film vielleicht etwas komödiantisch überzeichnet, insgesamt werden jedoch zwei typische Forscher-Charaktere mit unterschiedlichen Forschungszugängen dargestellt, wobei der Film genügend Spielraum zum Nachdenken - auch für die Forschung unserer Zeit hinterlässt. 

 

Das 20-igste und 21-igste Jahrhundert

 

Das herausragende Genie zu Beginn des 20-igsten Jahrhunderts war zweifellos der Physiker Albert Einstein, der als Hauslehrer begann und danach im Patentamt Bern arbeitete, wo er offenbar „geistig unterfordert“ war. Bereits 1905 veröffentlichte Einstein noch vor seiner Promotion zum Doktor der Physik vier theoretische Arbeiten, die ihn berühmt machen sollten: die „Spezielle Relativitätstheorie“, Arbeiten zur Brown’schen Molekularbewegung, er vollendete seine Arbeiten zum „photoelekrischen Effekt“ und fand die Formel für die Äquivalenz und Masse: E = mc². Einstein bekam den Nobelpreis 1922 allerdings nicht für die Spezielle Relativitätstheorie, die noch als zu umstritten galt, sondern für seine Arbeiten zum photoelektrischen Effekt und für seine „Verdienste um die theoretische Physik“.

 

Es soll hier nicht näher auf die Forschungen Albert Einsteins eingegangen werden, wichtig ist, dass er seine genialen Entdeckungen ohne Experimente durch Nachdenken bzw. rein mathematisch fand – insofern ähnelte sein Forschungszugang (auch bei seinen späteren Arbeiten) der Gauß’schen Arbeitsweise.

 

Universal-Naturforscher wie Alexander von Humboldt gibt es in unserer Zeit kaum mehr, dazu ist das Wissen auf allen Teilgebieten der Naturforschung seit Humboldt zu groß geworden. Zudem gibt es heute einen wesentlichen Unterschied zur Forschung von Gauß und Humboldt: beide hatten ihre Forschungen selbst oder durch ihre Arbeit als angestellte Wissenschaftler finanziert. Heute ist Forschung derart kostspielig geworden (ganz besonders die Astrophysik), dass man die Frage stellen darf, ob und warum sich der durch öffentliche Gelder finanzierte Forschungsaufwand immer teurerer Raumsonden und Weltraumteleskope, sowie der jahrelange mathematische Aufwand großer internationaler Forschungsteams zur Auswertung der Messergebnisse lohnt (2).

 

Als die Weltraumforschung in der Lage war die ersten Mondsonden (1959, UDSSR und USA) erfolgreich ins All zu schicken, wurden die schon damals nicht unbeträchtlichen Kosten damit gerechtfertigt, dass bei dieser Forschung neue Materialien und Techniken entdeckt würden, die auch in anderen Gebieten der Wirtschaft anwendbar seien, was sicher stimmte. Heute halten sich solche „Nebenprodukte“ in Grenzen, die Gesamtforschungskosten sind jedoch in „astronomische“ Höhen gestiegen, die heute meist folgendermaßen gerechtfertigt werden:

 

•  Erdähnliche Planeten zu finden (dorthin später einmal auszuwandern, wird vorsichtshalber vorläufig ausgeschlossen).

 

•  Leben auf anderen Planeten zu finden.

 

•  Erkenntnisse darüber zu erhalten, wie Leben auf unserer Erde entstanden ist.

 

•  Wie das Wasser auf unserer Erde entstanden ist.

 

(natürlich wird auch immer noch nach der endgültigen Weltformel gesucht, ein Problem an dem bisher namhafte Wissenschaftler und Nobelpreisträger gescheitert sind)

 

Alle diese Fragestellungen sind selbstverständlich erlaubt, aber nicht die Versuche zur Beantwortung dieser Fragen um jeden Preis, d.h. mit von Steuerzahlern finanzierten Mitteln, die derzeit auf unserer Erde erheblich sinnvolleren Zielen zugeführt werden könnten:

 

  1. Bekämpfung von Krankheiten wie Krebs, Alterskrankheiten wie Alzheimerdemenz oder Schlaganfällen, Arthrose, Herzkreislauf-Erkrankungen etc. Wir brauchen nicht unbedingt älter zu werden, die typischen Alterskrankheiten führen beim heutigen Lebensalter bereits jetzt zum Kollaps der Sozialsysteme und Pflegeanstalten und zur Zweiklassenmedizin. Daher sollte vorrangig angestrebt werden, die erreichte durchschnittliche höhere Lebenszeit so zu gestalten, dass Alter nicht zur Qual wird.
  1. Bekämpfung von bisher nicht heilbaren Infektionskrankheiten wie Ebola, Ausrottung von Malaria oder die Heilung von HIV-Infizierten und, und, und…
  1. Bekämpfung des Hungers in vielen Teilen der Erde.
  1. Erschließung besserer Energiequellen bzw. bestmöglicher Ausbau zukunftsträchtiger bereits vorhandener Energieformen.
  1. Vermeidung der Folgen einer möglichen Klimakatastrophe.

 

Zusammenfassung:

 

Die Ergebnisse der erwarteten Erfolge der Astrophysik müssen kritisch hinterfragt werden. Die rein „akademische“ Forschung, die zur Zeit Alexander von Humboldts und auch im 19. und 20. Jahrhundert noch weitgehend vertretbar war, ist kein „unabdingbares“ Forschungsziel mehr. Was nützt es uns, wenn wir wissen, auf wie viel Planeten es Leben geben könnte oder wie das Leben auf der Erde entstanden ist – das Leben ist da und wir müssen das Beste daraus machen. Viele der angestrebten Ziele können möglicherweise einfacher auf unserer Erde selbst beantwortet werden. Bei der Frage zur Entstehung des Lebens gibt es z.B. inzwischen durchaus Fortschritte.

 

Dies ist keine Bankrotterklärung der Naturwissenschaften, lediglich eine vorläufig notwendige Korrektur ihrer Ziele und Methoden.

 

(9.1.2015)

 

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(1) Wofgang Baumjohann ist Weltraumwissenschaftler und Direktor des Instituts für Weltraumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Graz.

 

2) Noch zu meiner Studienzeit wäre die Frage, ob sich universitäre Forschung „lohnt“ obsolet gewesen – akademische Forschung hatte ausschließlich das Ziel, Wissen zu schaffen. Mein Doktorvater Prof. Dr. Hermann Bretschneider musste sich gelegentlich den Vorwurf gefallen lassen, dass er Sulfonamide (Breitbandantibiotika) erforschte. Seine Schüler haben trotzdem von seiner Fähigkeit als Lehrer, analytisches Denken zu vermitteln, profitiert und später zu über 80 % in der akademischen und in der industriellen Forschung reussiert.

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