Die Gehirne von Börsianern ticken anders!
Vorab: Obwohl der nachfolgende Text 2009 geschrieben wurde, gilt er inhaltlich heute genauso und bedarf keiner Korrektur.
Es ist fast üblich, dass die letzten Tage vor Jahresschluss – besonders in den USA - eine positive Börsentendenz zeigen, so auch der letzte Handelstag in New York. Dieser Effekt wird „Windows-Dressing“ genannt und von großen Fondsgesellschaften ausgelöst, die in den letzten Tagen vor Jahresende Aktien kaufen um für ihre eigenen Fonds bessere Erfolgsergebnisse des abgelaufenen Börsenjahres ausweisen zu können.
Dass dann der erste Handelstag (Freitag, 2.1.2009) im neuen Jahr weltweit so positiv verlief, war dagegen – gelinde gesagt „schizophren“ – allerdings durch ein psychologisches Moment erklärbar. Es ist aus der Börsengeschichte seit jeher bekannt, dass häufig die ersten Börsentage im neuen Jahr positiv verlaufen. Man spricht daher von der „Silvester Hausse“. Diese Hausse kann in wirtschaftlich guten Jahren durchaus den ganzen Jänner anhalten, um dann irgendwann im Februar zu einer technischen Reaktion nach unten zu führen. In diesem Jahr ist dies wohl nicht zu erwarten. Die Realität der (weitgehend durch die Medien hochgespielten Hiobsbotschaften und dadurch provozierten Konsumentenrückgänge) wird die Börsen sehr schnell zur Vernunft bringen, umsomehr, als die starken Gewinne vom Freitag von relativ wenigen Börsenteilnehmern getragen wurden – das zeigen die vergleichsweise niedrigen Umsätze an den Börsen. Ein Rückschlag könnte schon am Montag, den 5. Jänner erfolgen – vielleicht wird er wird noch wenige Tage hinausgezögert, bis die Börsenspekulanten ihre Gewinne einstreichen. Es ist eigentlich recht unwahrscheinlich, dass es in einem derart negativen wirtschaftlichen Umfeld zu einem länger anhaltenden Börsenaufschwung kommt – selbst wenn Börsen die Zukunft antizipieren und bereits steigen, wenn eine wirtschaftliche Flaute noch anhält. Das ist natürlich und wäre ein Zeichen dafür, dass insgesamt die Optimisten wieder an Boden gewinnen, was derzeit wohl nicht anzunehmen ist.
Soweit eine rationale Beurteilung des kommenden Börsenverlaufes, die sich auf das derzeitige wirtschaftliche Umfeld bezieht. In der Börsenwelt können jedoch auch recht unsinnige Ereignisse eine Rolle spielen. Da gibt es z.B. das wichtigste American Football Ereignis des Jahres, das Meisterschafts-Endspiel der beiden amerikanischen Football Ligen AFL (American Football League und NFL (National Football League) – ein wichtiges Spiel, das traditionsgemäß am 1. Sonntag im Februar stattfindet. Wenn der NFL bei diesem – auch Super Bowl oder Giants Bowl – genannten Ereignis gewonnen hatte, stiegen in den letzten 40 Jahren in etwa 80 % (!!!) der Fälle die Aktienkurse der nächsten Tage. Das klingt unsinnig, zeigt aber deutlich, wie irrational die Börsenwelt ist. Man nimmt an, dass durch die Freude der Footballbegeisterten (unter denen auch viele Trader und Börsenmakler zu finden sind) aus einer guten Laune heraus am nächsten Tag Aktien gekauft werden, was selbstverständlich auch andere wissen und ebenfalls Aktien kaufen. Der dadurch verursachte Börsenanstieg hatte häufig sogar den gesamten Börsentrend des Jahres beeinflusst. In der Finanzwelt wird dieser Super-Bowl-Indikator von den Börsemanalysten daher recht ernst genommen. Psychologisch kann dieser Effekt als self-fulfilling prophecy gewertet werden, also einer Prophezeihung, die sich aufgrund eines Anlasses dem Anlass entsprechend von selbst erfüllt. Nachdem in diesem Jahr die „New York Giants“ mit einer großen Erfolgsserie des NFL spielen, ist es spannend, ob sich der genannte Effekt auch in einem wirtschaftlich deutlich negativem Umfeld bewahrheitet. Das Spiel wird immerhin von ca. 90 Millionen Amerikanern im Fernsehen verfolgt.
Es gibt auch andere auf einen bestimmten Monat bezogene Börseneinflüsse, so z.B. die Börsenweisheit „sell on May and go away“die oft dazu führt, dass die Börsen im Mai negativ beeinflusst werden. Hierfür gab es im 1900 Jahrhundert einen trifftigen Grund, der heute fast keine Bedeutung mehr hat, aber noch immer in den Gehirnen vieler Börsenteilnehmer herumspukt. Die Farmer brauchten im Mai Geld um Saatgut zu kaufen und verkauften hierfür ihre Aktien. Nur wenige wissen, dass aus einem ähnlichen Grund die Aktien im September meist oft wieder steigen: „But do remember, buy on September“. Nach der Erntezeit verfügten die Farmer über Geld, welches sie sofort an der Börse anlegten, wodurch die Aktienkurse stiegen. Auch dieses Phänomen kann heute noch häufig beobachtet werden und so gibt es für fast jeden Monat übersignifikante Entwicklungen an den US-Börsen, die auch alle anderen Weltbörsen beeinflussen können.
Insgesamt muss man a) feststellen, dass die Annahme nicht stimmt, in Kreisen in denen Rechnen eigentlich zum Handwerk gehört, würde immer besonders rational gehandelt. Das beweisen nicht zuletzt die leichtsinnigen Transaktionen die von Banken 2008 zur „Bankenkrise“ geführt haben, b) die Gehirne von Börsenteilnehmern „ticken“ anders (wie eingangs erwähnt).
Die Psychologie hat an den Börsen ein reiches Betätigungsfeld. Geht es doch darum, mit Phänomenen wie Angst oder Gier umzugehen.
(2009/2015)