Der Bär als Apokalypsenmaler – in memoriam Bruno
Wenn Bären ein paar Gläser zu sich genommen haben und es ihnen eigentlich zum Weinen zu Mute wäre, ist es besser eine neue Anekdote von Bruno zu erzählen, der von heimtückischen Mördern erschossen wurde (siehe auch „Ein musikalischer Bär“).
Der Bär als Apokalypsenmaler
Bruno kam aufgeregt von einer Vernissage zurück und wollte sofort Kunstmaler werden. Er hatte vor vielen Jahren ein paar Zeichenstunden in seiner abgebrochenen Schulkarriere absolviert – aber zum Genie wird man bekanntlich nicht erzogen, sondern geboren – so meinte zumindest der Bär. Trotzdem dachte er, ein paar Stunden auf einer Kunsthochschule könnten vielleicht nützlich sein – der Titel „akademischer Maler“ klingt eben besser.
Natürlich würde er der strengen Jury zur Aufnahmeprüfung etwas vorlegen müssen und er warf schnell ein paar Farbkleckse auf eine Leinwand – jemand der so malen kann wie Michelangelo hätte an den heutigen Kunstakademien sowieso keine Chancen. Er nannte sein Bild Apokalypse und malte zur Sicherheit gleich ein zweites dazu, welches er Apokalypse II nannte. Mit Apokalypse I und II stellte er sich dann am nächsten Tag der strengen Aufnahmekommission. Drei künstlerisch gekleidete Herren und eine ebenso verkleidete Dame betrachteten kritisch Brunos Werke und meinten nach einigen getuschelten Worten, welche Bruno nicht verstand, die Arbeiten seien gar nicht so übel, wo er denn das gelernt habe? Schade – gerade jetzt fiel Bruno kein lebender Maler ein (längst verstorbene Maler hätte er im Gedächtnis gehabt, ob Picasso schon gestorben war, wusste er nicht genau, aber vielleicht doch) und so erfand er einfach einen Namen, bemerkte jedoch vorsichtig, sein Lehrmeister sei zwar ziemlich begabt gewesen – aber leider eben gewesen, denn kurz vor seinem künstlerischen Durchbruch sei er verstorben. Wie er die Bilder nenne, fragte die künstlerisch gekleidete Dame. Apokalypse I und II antwortete Bruno selbstbewusst und die Kommission fragte nur noch kurz, warum Apokalypse I und II so unterschiedlich seien. Bruno räumte ein, dass er noch keine Apokalypse gesehen habe, seine Vorstellungskraft ihm jedoch zwei unterschiedliche Apokalypsenkonzepte eingegeben hätte und er warf schnell noch ein paar Adorno-Zitate hinterher, die er vorsichtshalber auswendig gelernt hatte. Die Kommission war mit Brunos Antworten offenbar einverstanden, er könne sich morgen in der Malklasse für Apokalypsen anmelden. Als er am nächsten Morgen in dieser Malklasse eintraf, wunderte er sich, dort keine Apokalypse vorzufinden, sondern eine unbekleidete Frau, die von den angehenden Künstlerinnen und Künstlern maßstabsgetreu abgezeichnet wurde. Bruno meldete sich sofort beim Malleiter der Klasse, den man wegen seines judendvorgetäuschten Alters und seinen wirren Haaren schnell unter den Anwesenden herausfand. Er wäre kein Anfänger, sagte Bruno zu ihm, er wolle echte, naturgetreue Apokalypsen malen. Es wäre leider gerade heute keine verfügbar, meinte der Malleiter aber Bruno könne sich ja das Suget „Frau“ als Apokalypseninkarnation vorstellen, morgen würde dann genderlike ein apokalyptischer Herr Gegenstand der Malsitzung sein – er solle aber die vorhandene Frau und auch den morgen zu behandelnden Herren so malen wir er die beiden innerlich sähe. Er fügte noch hinzu, dass die anderen Studenten noch viel zu lernen hätten, weil er bemerkt hatte, dass es diesen Anfängern mit ihren naturgetreuen Zeichnungen offenbar noch nicht möglich sei, sich eine Apokalypse ihrer Dimension entsprechend vorzustellen. Das sei aber ja gerade das Ziel seiner pädagogischen Verantwortung, solche Fähigkeiten herauszuarbeiten.
Und so malte Bruno seine Apokalypse III und am nächsten Tag eine Variante IV. Das Ergebnis seiner Bemühungen führte schon am nächsten Tag zu seiner Entlassung aus der Kunstakademie mit dem Titel eines „Akademischen Kunstmalers“. Die strenge Kommission meinte, er könne hier nichts mehr Neues dazulernen, nun müsse Bruno nur noch ein apokalypsenverständiges Publikum finden, die Kommission fuhr weiterhin wohlwollend fort, Bruno solle baldmöglichst eine Vernissage gestalten und sie mit dem kryptischen Vernissagetitel “Apokalypsen von eins bis unendlich” benennen.
Wenn Bruno nicht dem heimtückischen Mordanschlag zum Opfer gefallen wäre, so würde er noch heute malen – bis Apokalypse CCCCDDDVXII war er bereits gekommen.
(und wieder warfen die versammelten Bären heulend in ihrer Trauer die Gläser an die Wand und trugen sich in das stets aufgelegte Kondolenzbuch für Bruno ein).
(Version 16.9.2015)