außer Obligo

 

 

außer Obligo - (c) Alfred Rhomberg

 

Kreativität wird eigentlich nur dann wahrgenommen, wenn sie von andern als solche erkannt wird. Das führt zu der unausweichlichen Frage, ob jemand, der sich beharrlich weigerte, wahrgenommen zu werden, überhaupt kreativ sein kann. Bei Eigenschaftwörtern wie z.B. lieb, böse oder schön/hässlich erübrigt sich diese Frage: frau/man kann nur lieb oder böse zu „jemand anderem“ sein und die Begriffe schön/hässlich sind Beurteilungskriterien anderer (über mich oder etwas anderes). Das Adjektiv „kreativ“ bedürfte an sich dieser Fremdbewertung nicht – ich kann ohne die Beurteilung anderer kreativ sein und wenn ich also die Zeichenreihe ░ ▒ ▓ █ ▄ ☺ ☻ ‼ selbst für kreativ halte, wer sollte mir da mangelnde Kreativität vorwerfen, solange ich sie nicht als „kreatives Produkt“ anderen zur Bewertung überlasse, sie also als Bildwerk ausstelle oder dem geduldigen Internet überlasse?

 

Ich könnte noch einen Schritt weiter gehen und in der vollständigen Reduktion auf eine leere Leinwand, ein leeres Blatt Papier oder einen leeren Kühlschrank u.a. mehr ausdrücken, als durch missglückte Kreativitätsversuche. Schon beim letzten Beispiel des leeren Kühlschrankes, hätte ich allerdings einen Rückwärtsschritt angetreten – entweder er ist tatsächlich leer und ich behalte das für mich, oder ich male, fotografiere, modelliere einen leeren Kühlschrank und stelle diese Werke der öffentlichen Präsentation anheim – dann würde das sofort wieder von anderen (vielleicht nur von den wenigen, ganz phantasievollen) als „kreativ“ betrachtet, weil ich damit die folgenden Emotionen auslösen könnte:

 

• Negation der Überflussgesellschaft
• Armut
• die Vorstellung, den Kühlschank mit Produkten der eigenen Wahl zu füllen – also Anregung der Phantasie des Betrachters
• genial
• na – ja !
• irgendwie schon…vielleicht…
• und vieles mehr, was in phantasievollen Hirnen herumspukt

 

Der nächste Schritt wäre, die oben genannten Requisiten (leeres Blatt etc.) ganz wegzulassen und einfach nur nachzudenken. „Denken“ sieht frau/man bekanntlich nicht und selbst HirnphysiologInnen können bis jetzt nur feststellen, dass frau/man nachdenkt, jedoch nicht an bzw. über was nachgedacht wird.

Am Anfang stünde mir dabei nur die eigene Kritikfähigkeit im Wege – ich würde also versuchen, qualitativer nachzudenken (gut). Später würde ich auch die eigene Kritikfähigkeit ausschalten – ich hatte mir ja zum Ziel gesetzt, keine äußeren Betrachter zuzulassen. Aber die eigene Kritikfähigkeit übernahm langsam immer mehr die unerwünschte Funktion der anderen – der Betrachter.

 

Ich beschloss also, nur noch zu denken bzw. nachzudenken. Das Unerwartete geschah: beim Nachdenken kam mein Gehirn auf die überraschende Eingangsidee:

„Kreativität wird eigentlich nur dann wahrgenommen, wenn sie von andern als solche erkannt wird“.

 

Von nun an mache ich mir es leicht – ich stelle die Zeichenreihe ░ ▒ ▓ █ ▄ ☺ ☻ ‼ als kreatives Produkt allen anderen zur Verfügung und lasse die Anderen darüber nachdenken, ob die Zeichenfolge kreativ ist oder nicht. Ich fühle mich ab jetzt völlig außer obligo(1).


(1) "außer obligo” ist nach dem Duden wieder so eine typisch österreichische Wendung, wegen derer ich von deutschen Sekretärinnen oft bemängelt wurde, weil es viele meiner Ausdrücke gar nicht gäbe – eine sinngemäße Übersetzung wäre z.B.: “ohne Verbindlichkeit”, “unter Ausschaltung der Haftung”, etc. – tatsächlich scheint der Begriff in vielen deutschen Lexika nicht auf, wobei auch das Wort “aufscheinen” nur in besseren Lexica als österreichisches Verb “aufscheint”.

 

 

(2012)

 

 

 

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