Fünf (beinahe) gefährliche Gedichte
Nachtspaziergang
Nachtspaziergänge unterscheiden sich definitionsgemäß von Tageswanderungen.
Menschen werden zu Gestalten – auch ich werde zur Gestalt.
Gestalten haftet immer etwas Gefährliches an
also werde auch ich plötzlich gefährlich – nicht für mich,
oder doch?
Das weiß ich erst, wenn ich gut wieder zu Hause angekommen bin.
Vorläufig weichen die anderen Gestalten mir aus, so wie ich ihnen ausweiche.
Bald sehe ich keine Gestalten mehr und bin allein.
Ich dachte nicht, dass gerade dies die eigentliche Gefahr ist.
Auf der hohen Brücke
Ich stand am Rande einer hohen Brücke
ich wollte mich nicht hinunterstürzen,
dazu war mir der Abgrund zu tief,
außerdem wollte ich mich da unten nicht liegen sehen,
es gibt lohnendere Anblicke!
Auf hoher See
Das kann mir nicht passieren
ich würde seekrank -
da bleibe ich lieber in den Tiroler Bergen,
obwohl auch diese nicht ungefährlich sind
vorausgesetzt man besteigt sie,
was ich nicht beabsichtige -
ich bin nicht schwindelfrei.
Norddeutschland wäre zu erwägen
aber dort gibt es zu viele Windmühlen
und ich bin nicht romantisch.
Tageswanderung
Ich mache einen Mittelgebirgsspaziergang
da kann mir nichts passieren
ich habe ja mein Smartphone dabei,
gespickt mit vielen apps
ich kann also jederzeit die Börsendaten abrufen
oder die Wahlspekulationen der übernächsten Wahlen
und – besonders wichtig, meinen augenblicklichen Standort –
den hatte ich fast vergessen –
wegen der vielen apps.
Auf einer Bank
Nicht was Sie meinen – also jene Geldinstitute
die heute berüchtigt sind -
nein - auf einer ganz normalen Bank
zum Ausruhen während meines Mittelgebirgsspaziergangs
da schreibe ich Gedichte -
auch nicht ganz ungefährlich -
jedoch nicht so gefährlich,
dass ich mir ernste Vorwürfe mache.
(22.9.2013)