„Denn der Geschmack muß ein selbst eigenes Vermögen sein (...)“ ¹

 
Geschmack-2 - © Alfred Rhomberg

 

 

Es ist nicht erforderlich die „Kritik der Urteilskraft(1)” von Immanuel Kant zu lesen, wenn frau/man sich über den schlechten Geschmack unserer Zeit in der Architektur, Mode und den Künsten ärgert, denn a) ist das Werk recht umfangreich und kompliziert geschrieben und b) gibt es auch in unserer Zeit guten Geschmack, selbst wenn er im Meer der uns umgebenden Scheußlichkeiten kaum mehr wahrnehmbar ist. Zudem hat Kant mit einigen seiner Feststellungen zum Geschmack vermutlich nicht recht.

 

Zur Einstimmung einige Zitate, über die sich ebenso streiten oder nicht streiten lässt, wie über den Begriff „Geschmack“ selbst:

 

“Man muss viel Geschmack haben, um dem seines Zeitalters zu entgehen.” – Théodore Jouffroy (f796-1842, franz. Publizist und Philosoph)

 

“Mangel an Geschmack ist eine der Sünden, die unfehlbar mit der Frömmelei verbunden sind.” – Honoré de Balzac

 

“Mit der Entstehung des Geschmacks begann die Verhässlichung der Welt. Denn man mag, vielleicht aber unwahrscheinlich, mit Geschmack eine schöne Wohnung gestalten, gewiss doch keine schöne Welt” – Burghart Schmidt

 

Das erste Zitat von Jouffroy ist zwar hübsch formuliert, aber doch etwas snobistisch. Mit dem zweiten Zitat mag Honoré de Balzac Recht haben – ganz sicher ist jedoch die im dritten Zitat angesprochene Behauptung der „Verhässlichung der Welt“, die erst seit der „Entstehung des Geschmacks“ möglich geworden ist. Die umgangssprachlich häufig gehörte Meinung „über Geschmack ließe sich nicht streiten“ ist nur zum Teil richtig, auch wenn es inzwischen wissenschaftlich bewiesen ist, dass gewisse Formen des Geschmacks genetisch verankert sind(2). Dies gilt jedoch vermutlich nur für den Geschmack von Nahrungsmitteln, denn es ist erwiesen, dass Babys gleich nach der Geburt zwischen bitter und süß unterscheiden können. Alles weitere ist dann wohl doch eine Frage der Erziehung(3): man muss schon in einem bestimmten Kulturkreis aufgewachsen sein, um gegrillte Heuschrecken als Delikatesse zu empfinden. Ansonsten ist sowohl guter, als auch schlechter Geschmack anerzogen, wobei sofort die Frage auftritt, was guter und schlechter Geschmack bedeuten(4), wenn selbst in Lexika zu finden ist, dass Geschmack ein subjektives (ästhetisches bzw. soziales) Werturteil über etwas ist, das jemandem gefällt. Wer zu schlechtem Geschmack erzogen wurde, dem gefällt schnell etwas, das meist zeitgeistabhängig ist bzw. dem Mainstream unterliegt. Vielleicht hat Théodore Jouffroy doch recht: „Man muss viel Geschmack haben, um dem seines Zeitalters zu entgehen.”

 

Es bedürfte sicher einer längeren Abhandlung um dem Thema gerecht zu werden, deswegen soll nachfolgend nur ein Versuch der Konkretisierung gewagt werden.

 

Zur Architektur

 

Gute moderne Architektur? Ja es gibt sie – Städte wie Florenz, Pisa oder Rom (auch die ehrwürdigen Bauwerke dieser alten Städte waren einmal moderne Architektur) wird es in Zukunft jedoch nicht mehr geben. Auch heute gibt es gute Architektur, in den meisten Städten, besonders in den großen Metropolen, wird diese heute jedoch von merkantiler Nutzarchitektur so umzingelt, dass frau/man sie kaum findet. Was ist überhaupt gute moderne Architektur? Sie zeichnet sich durch zwei Charakteristika aus: erstens, dass die Bevölkerung darüber schimpft (bis sie sich daran gewöhnt hat) und zweitens, dass sie auch von konkurrierenden ArchitektenkollegInnen anerkannt wird  - das letztere ist dann ein zwar seltenes, jedoch untrügliches Zeichen für herausragende Architektur. Eine dritte Möglichkeit, Architektur als gut zu bezeichnen, bleibt uns leider vorenthalten – nämlich wie unsere „gute“ Architektur durch die Nachwelt in ein paar hundert Jahren beurteilt wird.

 

Mode

 

Das wäre ein äußerst schwieriges Thema, sofern man wegen ihrer zunehmend schnelleren Wechsel nicht einfach darüber hinweggeht. Bleibt nur die Frage, warum die Mode (Damen- wie Herrenmode) so schnell wechselt. Weil sie zunehmend hässlicher und qualitativ billiger wird? Nicht umsonst greifen die großen Modehäuser immer häufiger auf Einfälle früherer Jahrzehnte zurück, die allerdings „entbiedert“ werden müssen und die Produkte aus qualitativ schlechten Materialien hergestellt . Gerade dieser Entbiederungsprozess macht moderne Mode oft so unerträglich hässlich, weil er praktisch alles erlaubt, was der Zeitgeist gerade so bietet. Warum fällt den Modedesignern außer Verrücktheiten, die nur am Laufsteg oder bei Filmfestspielen tragbar sind, nichts mehr ein, wie beispielsweise eine Damenmode des Jugendstils oder der Renaissance? Dazu kommt, dass am Laufsteg ein Frauenbild präsentiert wird, das in der Realität kaum so existiert – außer durch künstlich herbeigeführte Magersucht und Essstörungen erworben.

 

Die Künste

 

Darüber zu schreiben erübrigt sich, weil inzwischen weder KünstlerInnen, noch KunstkritikerInnen und schon gar nicht das Publikum in der Lage sind, zu beschreiben, was frau/man unter Kunst verstehen will. Der Autor hat versucht, wenigstens im Bereich der Musik zwischen Pop-Musik, Jazz und sogenannter E-Musik Qualitätsunterschiede herauszuarbeiten (6). Ansonsten ist es wenig ergiebig über das Gesamtphänomen zeitgenössischer Kunst (außer über einzelne Werke) neues zu schreiben. Wenn in den vergangenen Jahrhunderten praktisch alles erlaubt gewesen wäre wie heute, so hätten vermutlich doch nur jene Komponisten die Jahrhunderte überlebt, die wir heute kennen und unter denen unter vielen anderen Ignaz Biber, Pachelbel, Schütz, Bach, Haydn oder Mozart ganz sicher nicht gefehlt hätten. Bei zeitgenössischer Musik scheiden sich noch die Geister,  hier ist es ähnlich wie bei der Architektur – es gibt sehr gute Musik, man muss diese nur im Mittelmaß dessen, was komponiert wird erkennen. Ob sich Musiker oder Musikwissenschaftler allerdings mit Robbie Williams, Sir Elton John, Michel Jackson oder der volkstümlichen Musik des Musikantenstadels in dreihundert Jahren beschäftigen werden, ist eine offene Frage – vielleicht kommt ja noch schlimmeres nach.

 

Ähnlich unergiebig wäre eine Diskussion über zeitgenössische bildende Kunst, die von einigen (vielleicht sogar vielen) Ausnahmen abgesehen, doch eher „zeitgenössisch“ im Sinne von Wegwerfkonsumartikeln bleiben wird – was von der früher einmal zeitgenössischen Kunst eines Michelangelo, Albrecht Dürer oder Leonardo da Vinci (aber auch von vielen Malern zu Beginn des 20. Jahrhunderts) kaum behauptet werden kann. Vielleicht kommt aber gerade durch zeitgenössische Kunst etwas Überraschendes nach, das wir heute leider noch nicht kennen. Die Kunst der Happenings und der überdimensional-großräumigen Installationen wird in 300 Jahren wohl keinen bleibenden Eindruck hinterlassen, ebenso wenig wie 4’33-Kompositionen wie die von John Cage(5). In einem Punkt hatte Cage allerdings für Musik (und andere Kunstarten) vielleicht recht:

 

„If you celebrate it, it’s art, if you don’t, it isn’t“

 

(27.9.2014, Erstfassung 15.10.2012)

 


(1) aus Kritik der Urteilskraft, Reclam, 1963: 113f. Wer speziell auf den betreffenden Abschnitt 17 zusteuern will, findet ihn unter: Vom Ideale der Schönheit

(2)  Bild der Wissenschaft

(3) “Es stimmt nicht, daß sich über den Geschmack streiten ließe, solange wir damit guten Geschmack meinen. Doch werden wir ebensowenig mit einem solchen geboren, wie wir wirkliches Kunstverständnis mit auf die Welt bringen.” – Jan Tschichold

(4) “Über den Geschmack kann man streiten, solange, bis dieser Streit geschmacklos wird.” – Gerhard Uhlenbruck, Der Klügere gibt nicht nach, Hrsg. Prof. Wolfgang Mieder, Ralf Reglin Verlag Köln, Ausgabe 2003, S. 68, ISBN 3-930620-44-8

(5) Dieses Stück besteht aus drei Sätzen mit der Anweisung Tacet, d.h. sie bestehen aus völliger Stille. In der Uraufführung am 29. August 1952, in Maverick Concert Hall in Woodstock, New York, zeigte der Pianist David Tudor die drei Sätze durch Schließen und Öffnen des Klavierdeckels an. Laut Partitur ist die Dauer des Stückes frei wählbar und der Titel soll diesen Wert in Minuten und Sekunden genau angeben. (Wikipedia)

(6) Lassen sich unterschiedliche Musikstile/ Epochen qualitativ vergleichen?

 

 

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