Das libidinöse Objekt klein a
Neben einer wohlgeordneten Bruchstücksammlung (siehe Bruchstücke) verfügte ich bis vor kurzem auch über eine stattliche Objektsammlung – vom Aufbau einer Subjektsammlung hatte ich dagegen immer bewusst Abstand
genommen, bereitete doch die scharfe Trennung von Bruchstücken und Objekten bereits Schwierigkeiten genug, diese streng logisch auseinander zu halten. Die Objektsammlung wurde von mir auch nur
benützt, wenn es mir an geeigneten Bruchstücken mangelte – nahezu aus jedem Objekt lassen sich durch Zertrümmerung relativ leicht mehrere Bruchstücke herstellen. Grundsätzlich sammelte ich keine
grammatikalischen Objekte – wer sich etwas in Grammatik auskennt, weiß, dass dort mindestens 7 schwierige Objekttypen unterschieden werden (angefangen von simplen Genitivobjekten, über das
Dativobjekt, direkten und indirekten Objekten bis hin zu Präpositionalsobjekten etc.) – etwas Spaß sollte das Sammeln von Dingen (ich vermeide bewusst das Wort „Objekte“) schon machen.
Für meine Objektsammlung suchte ich lange vergebens nach dem „Objekt klein a“. Als ich mich kundig machen wollte, wie so ein Objekt klein a überhaupt aussieht (jeder seriöse Sammler sollte wissen,
was er seiner Sammlung hinzufügen möchte, bevor er es für Geld ersteht), fand ich in der Wikipedia Enzyklopedie den Satz:
“Grundvoraussetzung zum Verständnis des Objekts klein a ist Lacans Konzeption des Subjekts als Träger eines irreduziblen Mangels”.
und:
“Mit Objekt klein a wird ein Objekt des Begehrens, also ein (in Freudscher Terminologie) „libidinös besetztes“ Objekt bezeichnet, das jedoch wesenhaft unerreichbar
ist.”
Da ich die Konzeption des französischen Psychoanalytikers Jaques Lacan (1901-1981) nie ganz verstanden hatte, außer dass er die Schriften Sigmund Freuds neu interpretierte und radikalisierte (wozu
soll man z.B. den Ödipuskomplex noch radikalisieren?), beschloss ich auf den Erwerb des Objektes klein a zu verzichten, gleichzeitig meine gesamte Objektsammlung aufzulösen und durch Zertrümmerung
aller Objekte meine Bruchstücksammlung beachtlich zu erweitern.
P.S. Der Begriff “irreduzibler Mangel” machte mich nachdenklich und brachte mich unwillkürlich wieder in die politische Gegenwart zurück – sollte Lacan damit auch den Zustand unserer politischen
Parteien eingeschlossen haben, nämlich populistisch, quasi libidinös nach neuen Wählerschichten zu suchen? – dann hätte er neben seiner relativen Unverständlichkeit auch noch die Gabe der Hellseherei
gehabt, weil er den gegenwärtigen Zustand eines "irreduziblen Mangels" unserer heutigen Parteien infolge seines Todes 1981 noch gar nicht kennen konnte.
(2011)